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(rainer)

C.C. Humphreys - Die Hand der Anne Boleyn

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Ein historischer Roman mit ungewöhnlichen Figuren und einer packenden Handlung. In diesem Buch (Fast schon ein Abenteuerroman) steckt das ganze Leben.

 

Anne Boleyn - Balladen werden über ihre Schönheit gesungen, über ihre Augen, ihren Körper. Doch Jean Rombaud ist gekommen, um die englische Königin hinzurichten. Auf dem Schafott nimmt sie ihrem französischen Henker einen letzten Schwur ab - und schickt Rombaud auf die gefahrvollste Mission seines Leben. In den Wirren des 16. Jahrhunderts begibt sich der tapfere Scharfrichter auf eine abenteuerliche Odyssee quer durch Europa, die Freundschaft und Liebe, aber auch Schmerzen und Verrat für ihn bereit hält.

 

 

Hier der Prolog:

 

Es war eine ungewöhnlich kalte Nacht für Ende Mai, aber der ehemalige Insasse des Galgenkäfigs war zu tot und derjenige, der nun hineinkam, zu ohnmächtig, um sich daran zu stören. Und obwohl die drei Soldaten über die Kälte murrten, waren sie nicht froh darüber, daß ihnen von der Anstrengung warm wurde, als sie das Skelett aus dem torsoförmigen Käfig zogen. Nachdem sie ihren Gefangenen schließlich hineingezwängt und den Käfigschlüssel wieder an seinen Haken gehängt hatten, gingen sie zurück zu ihren Pferden. Sie lehnten sich gegen die warmen Flanken, schüttelten die Überreste aus dem Käfig von ihren Umhängen und murrten noch immer vor sich hin.

 

»Was für eine herrliche Nacht.« Die Stimme drang seidig und warm aus den Falten von Umhang und Pelz, und der Atem bildete in der frostigen Luft einen steten Strom. »Schaut, ein Komet! In Siena sagen wir: schon wieder eine Jungfrau weniger.«

 

Ein Lachen ertönte, so seidig wie die Stimme, gefolgt von einem Husten. Und die Lippen wurden mit einem roten Tuch betupft.

 

Heinrich von Solingen drehte sich zu dem Mann um, der gerade gesprochen hatte, dem Mann, dessen Befehlen er bedingungslos gehorchte. Heinrich war verwirrt. Er hatte gern alles klar und ordentlich. Sie hatten bekommen, was Seine Heiligkeit wollte. In Samt eingeschlagen, ruhte es nun in den Satteltaschen Seiner Heiligkeit. Die Verwirrung machte ihn zornig und kühn.

 

»Ich verstehe einfach nicht, was das hier soll, Herr. Wieso haben wir den Franzosen nicht schon im Gasthof getötet?«

 

»Ich denke, das hast du doch versucht, nicht wahr?«

 

»Ich meine hinterher, als er ohnmächtig war.«

 

Die kleinere Gestalt bewegte sich im Sattel. Mondlicht fiel auf eine scharf geschnittene Stirn, eine lange, gerade Nase, fleischige Lippen. Jetzt lag ein Anflug von Traurigkeit in dem seidigen Klang.

 

»Nach dem, was er getan hat, hätten wir ihn eigentlich als Ketzer anklagen und Gottes erlösenden Flammen übergeben sollen. Leider jedoch ist die Zeit noch nicht reif dafür, daß seine Geschichte überall erzählt wird. Also geben wir ihn hier in Gottes Hände.«

 

»Aber Eminenz –«

 

Der Schlag überraschte Heinrich, weil der Italiener weder jung war noch, so dachte er, besonders stark. Der Schmerz strafte diesen Eindruck Lügen.

 

»Ich habe dich gewarnt, meinen Titel in der Öffentlichkeit auszusprechen.«

 

»Verzeiht, mein Herr, aber hier sind doch nur der Gefangene und meine Männer –«

 

Wieder tauchte die Hand aus dem Umhang hervor, und Mondlicht glitzerte auf schweren Ringen, die das Blut erklärten, das jetzt an Heinrichs Kinn herunterrann.

 

»Genug! Du bist ein Narr und ich selbst auch, daß ich dich meine Entscheidung anzweifeln lasse. Vielleicht ist hier in der Nähe ein Galgenwächter, der mit dem Titel etwas anzufangen weiß. Und deine Männer wußten bis jetzt nicht, wer ich bin. Ich muß nachdenken. Sie sollen den Galgenwächter suchen.«

 

Ein knapper Befehl, und die drei Soldaten machten sich auf die Suche, aber es gab nur wenig, wo sie suchen konnten: eine kahle Wegkreuzung, wo weder Büsche noch Bäume wuchsen, eine Wegstunde vom nächsten Dorf entfernt. Kaum etwas, was der Vollmond bescheinen konnte, außer der baumelnden, vage menschlichen Eisenform, dem Gerüst mit dem Querbalken und dem Haufen Galgenabfall, wo nun, in sechs Teile zerfallen, der letzte Bewohner des Käfigs lag.

 

Die Männer meldeten ihren Mißerfolg.

 

»Sehr gut.« Der Italiener hustete, ein Blutklümpchen wurde rasch mit dem Tuch aufgefangen. Er konnte jetzt nicht viel tun; und selbst wenn der Wächter irgendwo auf der Lauer lag und Heinrichs Indiskretion mitbekommen hatte… Nun, wie sollte eine Kreatur mit einem derartigen Beruf einem Fürsten der Heiligen Kirche gefährlich werden können?

 

Giancarlo Cibo, Erzbischof von Siena, kam zu dem Schluß, daß er das Risiko eingehen konnte. Er ging nicht viele Risiken ein – nur so hatte er schließlich die Turbulenzen zu Hause in Italien überlebt. Doch Heinrichs Männer waren ein zu großes Risiko. Heinrich selbst würde sich um sie kümmern müssen, später, eine angemessene Strafe für seine Indiskretion. Vielleicht unter Anwendung einiger ungewöhnlicher Methoden. Das würde dem Erzbischof gefallen. Und es würde den mürrischen Deutschen gehörig in Rage bringen. Auch das würde dem Erzbischof gefallen.

 

»Leg das Doppelte der üblichen Münzen in den Galgenstock. Wir wollen den Wächter gut bezahlen«, sagte er, jetzt wieder ganz seidige Sanftheit.

 

Dukaten wurden in das kleine Kästchen am Fuße des Galgens geworfen, und Heinrich ging zurück zu seinen Männern und saß auf. Er lauschte, wie ihm das Blut auf den Sattelknauf tropfte, schwieg und sah aus einigem Abstand zu, wie der Erzbischof sein Pferd direkt an den Galgen trieb.

 

Der Italiener beugte sich vor, bis es so aussah, als wollte er die Eisenstäbe des Käfigs küssen. Bis er den Atem des Mannes darin auf seinen eigenen Lippen spüren konnte. Die Atmung des Mannes war unregelmäßig; Heinrichs Männer hatten ihn übel zugerichtet, nachdem sie ihn endlich überwältigt hatten. Kein Wunder, denn der Franzose hatte zwei von ihnen getötet und zwei weitere außer Gefecht gesetzt, als sein seltsames Schwert mit der stumpfen Spitze anmutig und tödlich zwischen die plötzlich bleifüßigen Deutschen gefahren war. Heinrich hatte gesagt, es wäre ein Henkersschwert, das in Frankreich bevorzugt werde, weil man sich mit ihm Verrätern auf humanere Weise entledigen konnte, vorausgesetzt, ihr Stand und ihr Geldbeutel verdienten es. Das Schwert würde eine schöne Trophäe an der Wand in seinem Palast abgeben, wußte er doch, wessen Hals zuletzt damit durchtrennt worden war. Ein Hals und etwas sehr viel Ungewöhnlicheres – eine sechsfingrige Hand.

 

»Warum hast du es getan, Jean?« flüsterte Cibo in den Käfig. »Hast du geglaubt, daß sie heilen könnte, wie die Knochen der heiligen Agnes? Hast du sie dafür gehalten, Jean, für eine heilige Märtyrerin des neuen Glaubens? Oder war es Gold? Die machtvollste Reliquie auf der Welt hätte sehr viel mehr eingebracht als alles, was du in deinem Leben mit dem Abschlagen von Köpfen hättest verdienen können.«

 

Der Bewußtlose gab ihm keine Antwort, stieß nur seinen flachen Atem hervor. Der Erzbischof musterte sein Gesicht. Die Züge waren irgendwie feiner als normalerweise bei Franzosen, eine kleinere Nase, dichtes schwarzes Haar, das vom Kampf mit Blut und Schweiß verklebt war. Es war gewöhnlich. Und es wunderte ihn stets, wenn gewöhnliche Menschen ungewöhnliche Dinge taten.

 

»Du versetzt mich wirklich in Erstaunen, Jean. Leider werde ich es nie erfahren. Aber sie gehört jetzt mir, eine mächtigere Waffe als jedes Henkersschwert für mich und für unsere Mutter Kirche. Wir werden sehen müssen, wie wir beide sie am besten einsetzen können.«

 

Und damit riß Cibo sein Pferd herum und fiel sofort in Galopp. Er war stolz auf seine Reitkünste, und seine Rosse waren so zugeritten, daß sie auf jede seiner spontanen Launen reagierten. Die Deutschen waren überrascht, und auf Heinrichs barsche Befehle hin folgten sie ihm so schnell sie konnten.

 

Sie ritten so rasch davon, froh, diesen trostlosen Ort endlich zu verlassen, daß keiner von ihnen auch nur einen Blick zurückwarf. Sonst hätten sie gesehen, daß die unmittelbaren Auswirkungen ihrer brutalen Schläge abgeklungen waren.

 

Jean Rombaud, Meisterhenker und vor kurzem Scharfrichter der Anne Boleyn, war erwacht. --

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