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(Mascha)

Artikel: 5 gute Gründe, seinen Lesern nicht alles vorzukauen

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Es gibt Romane, die erklären alles. Wirklich ALLES. Sobald etwas geschieht, das nicht sofort deutbar ist (und selbst wenn es deutbar ist), schieben diese Romane eine Erklärung hinterher. Dem Leser wird jegliche Interpretationsmöglichkeit aus der Hand genommen, und was herauskommt, erinnert mich an Reality Soaps bei denen ständig eine Stimme aus dem Off erklärt, was die Personen gerade fühlen: »Janina ist überglücklich, ihren kleinen Sohn wieder in die Arme schließen zu können.« Dazu das Bild der jungen Mutter, die ihren kleinen Sohn in die Arme schließt, unterlegt mit schmalziger Musik, damit der Zuschauer auch genau weiß, dass er jetzt gerührt zu sein hat.


Bücher, die ähnlich aufgebaut sind, den Leser dadurch bevormunden und selbst das Offensichtliche noch einmal wiederkäuen, werden natürlich gelesen und es mag Leser geben, die es gerne mögen, wenn sie beim Lesen jegliche Gehirnaktivität einstellen können. Aber eine interessante Geschichte kommt nicht dabei heraus, wenn man seinen Lesern alles vorkaut, sondern eine Art literarischer Seniorenteller mit breiiger Konsistenz und ohne Würze. Deshalb hier 5 gute Gründe, es nicht zu tun:


  1. Jede Gefühlsregung bis ins Kleinste zu erklären, hält die Handlung auf.
  2. Es verschafft deinen Lesern ein AHA!-Erlebnis, wenn sie etwas selbst herausfinden dürfen.
  3. Deine Leser sind intelligent genug, selbst Zusammenhänge herzustellen.
  4. Leser langweilen sich schnell, wenn sie beim Lesen nicht wenigstens ein bisschen gefordert werden.
  5. Es muss nicht alles eingeordnet werden, sondern manche Dinge können in der Schwebe bleiben, um dem Leser Raum für seine eigene Interpretation zu geben.

Ich glaube, wenn Autoren zu viel erklären, haben sie Angst, von ihren Lesern falsch verstanden zu werden. Sie möchten, dass die Leser die Geschichte ganz genauso empfinden und interpretieren, wie sie selbst. Aber weshalb eigentlich? Das Tolle an Büchern ist doch, dass es ebenso viele Geschichten gibt wie Leser, weil jeder seine eigenen Erfahrungen mitbringt und auf die Geschichte projiziert.


Deshalb: Traut euren Lesern etwas zu, verlangt ihnen etwas ab, lasst ihnen Freiraum zur Interpretation.


 


Oder denkt ihr anders darüber?


Bearbeitet von Mascha
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Hallo Mascha,

 

ein sehr guter Beitrag. Danke! Wie war das mit dem Kino im Kopf? 

 

Wie ist das mit Personenbeschreibungen? Ich persönlich finde, dass auch da manchmal weniger mehr ist. Ich muss nicht immer genau wissen, wie groß, wie schwer, welche Haar- und Augenfarbe etc. jede einzelne Nebenperson ist bzw. hat. Als Leserin mache ich mir gerne selbst ein Bild bzw. stelle mir durch die Erzählung die Person vor.

 

liebe Grüße, Alexandra

Neues Sachbuch: 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution (Reclam Verlag)

www.alexandrableyer.at

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Hallo Mascha,

 

ein sehr guter Beitrag. Danke! Wie war das mit dem Kino im Kopf? 

 

Wie ist das mit Personenbeschreibungen? Ich persönlich finde, dass auch da manchmal weniger mehr ist. Ich muss nicht immer genau wissen, wie groß, wie schwer, welche Haar- und Augenfarbe etc. jede einzelne Nebenperson ist bzw. hat. Als Leserin mache ich mir gerne selbst ein Bild bzw. stelle mir durch die Erzählung die Person vor.

 

liebe Grüße, Alexandra

 

Danke, Alexandra!

 

Ich bin ganz deiner Meinung. Inzwischen beschreibe ich immer weniger das Aussehen selbst, sondern eher allgemeine Züge (hager, rundlich) die Haltung, die Ausstrahlung und vielleicht noch zwei, drei Details der Kleidung, damit der Leser weiß, mit welcher Art von Person er es zu tun hat. Anzug oder Lederjacke, das reicht schon, um ein Bild zu erzeugen. Welche Haar-, Augenfarbe oder Nasenform jemand hat, darf sich jeder selbst ausdenken. Für das, was ich erzählen will, spielen diese Details keine Rolle.

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Hihi, ich muss schmunzeln - ihr glaubt ja gar nicht, wie oft ich höre, die Krimihandlung sei nicht ausreichend = zu 10000 % erklärt worden am Ende.

 

;-)

 

Im Grunde ist sowas immer Geschmackssache. Wir hier sind sicher eine andre Art Lesen gewohnt als Nicht-Autoren.

Erst kürzlich mit einer Kollegin diskutiert, ob Leser wissen müssen, wie die Figuren aussehen. Ich bin drauf gekommen, dass ich über eine Hauptfigur nicht mal die Haarfarbe drin hatte.

 

Ich steh da mehr auf zwei, drei Details, die wie eine grobe Skizze wirken - und dabei Details sind, die viel über die Person aussagen. Es ist ein Unterschied, ob jemand die Haare aus beruflichen Gründen kurz trägt oder weil er das am besten mag. Also eine Verbindung zwischen Beschreibung an sich und dem Rest, der Bedeutung, der Persönlichkeit der Figur, ihren Erlebnissen, ...

 

Ich mag auch das Selbst-Reindenken als Leserin, das "was wäre wenn" auch, halboffene Enden, herum grübeln, warum das jetzt so war, wieso jemand das genau so gemacht hat ...

 

Liebe Grüße,

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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Genau, Anni. Bei einem Ex-Soldaten sagt es viel, wenn er noch immer die Haare kurz geschoren trägt. Oder wenn eine Person sich mit esoterischem Schmuck behängt. Oder nur schwarz trägt oder extrem herabgezogene Mundwinkel hat.

Was relevant für Charakterisierung oder Handlung ist, darf erwähnt werden. Und um ein Bild zu erzeugen, reichen tatsächlich zwei, drei Details. Das gilt nicht nur für Personen, sondern auch Schauplätze.

Meinen Aha!-Moment dazu hatte ich beim Lesen von Schuld und Sühne. Da wird der Eingang zu einem Kellerlokal beschreiben, bzw. nur kurz erwähnt. Eine genaue Beschreibung war überflüssig, weil jeder solche Lokale kennt. Dass der Roman 1866 veröffentlicht wurde, ändert daran gar nichts. Man muss den Leser nur dazu bringen, selbst Erlebtes/Gesehenes/Erfahrenes abzurufen.

 

Ich meinte aber nicht nur Beschreibungen, sondern vor allem Ereignisse und Gefühle. Wenn man schriebt »sie seufzte« ist das etwas anderes als zu schreiben »sie seufzte traurig/versonnen/resigniert/erregt«. Letzteres sollte aus dem Zusammenhang für den Leser erkennbar sein, das muss man nicht eigens erklären. Und ein bisschen Spielraum schadet nicht. Mehrdeutigkeit ist spannend, der Leser darf sich ruhig mal Gedanken machen.

Bearbeitet von Mascha
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Lustig ist es mit Tätowierungen - waren die bis vor relativ kurzer Zeit noch für viele Berufsgruppen ein No-Go bzw. mussten absolut versteckt werden, beobachte ich da in letzter Zeit einen viel zwangloseren Umgang damit.

 

 

 

Ich find ja, sich selbst Gedanken machen sollte wieder mehr in Mode kommen. :-)

 

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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Ich denke, es kommt auch ein wenig auf das Genre an. Liebesschmöker-Leser erwarten vielleicht ein wenig mehr Beschreibung von Gefühlen und Gedanken. Und auch das Aussehen ist ihnen wichtig. Ich hatte einige Dinge noch "nachzubessern" auf die Hinweise des Lektors: was fühlt er denn jetzt? Was löst der Kuss bei ihm aus? Und Sexszenen sowieso bis ins Kleinste ... 

 

Ich lasse gern manches im Raum stehen,immer Gefahr laufend,dann doch nicht verstanden zu werden. Manchmal eine Gratwanderung. Aber wenn ich selbst meinen Text kapiere,müssten es doch auch eigentlich die Leser, oder? 

 

Ärgert ihr euch, wenn der Lektor kommentiert: "Verstehe ich jetzt nicht ..." Ich verdrehe dann schon mal die Augen.

 

Brunhilde

Bearbeitet von Brunhilde
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Hallo,

 

genau so wie Mascha und Anni es beschreiben, sehe ich es auch: Beschreibung von Äußerlichkeiten/Kleidung etc. ja, wenn es die Person charakterisiert bzw. in einem gewissen Zusammenhang von Bedeutung ist.

 

Und ja: Bei Liebesschmökern muss natürlich ganz klar sein, dass der 1,96m große Held mit schulterlangen blonden Haaren in die blauen Augen der Heldin blickt (blöd nur, wenn diese fünfzig Seiten später grün sind?). :-)))))

Was löst der Kuss aus? Könnte man darauf auch mal eine originelle Antwort schreiben - sie unterdrückte ein Gähnen; sie stellte fest, dass er sich hätte rasieren können ... erst jetzt bemerte er ihr Damenbärtchen ... *ggg* (Okay, da kommt dann sicher die Reaktion aus dem Lektorat: Versteh ich nicht ... :-)))

 

 

Was mich als Leserin immer irritiert, ist, wenn neu eingeführte (Haupt-)Personen gleich mit einer trockenen Beschreibung der Äußerlichkeiten aufgetreten werden: Kommissar XY kam in die Kanzlei. Er war ein 1,80m großer Mann mit braunen Haaren und Brille ... Oder auch sehr beliebt, durch eine andere Person beschreiben lassen: Die Beamtin musterte ihn/sie. Sie sah einen ... das bremst mich beim Lesen aus und langweilt oft. Viele Infos kann man, wenn man unbedingt möchte, doch später nebenbei in der Handlung einfließen lassen.

 

liebe Grüße, Alexandra

Neues Sachbuch: 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution (Reclam Verlag)

www.alexandrableyer.at

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Ein interessantes Thema. Ich muss sagen, ich mag Beschreibungen, die dazu beitragen, dass man sich die Szene besser bildhaft vorstellen kann. In meinem ersten historischen Roman habe ich sehr viel beschrieben, um die Atmosphäre der damaligen Zeit rüberzubringen. Von Seiten meines Verlags wurde gerade dieser Punkt ausdrücklich gelobt. Man könne sich so gut in die Szenen und die Protagonistin hineinversetzen aufgrund meiner Beschreibungen. Als ich dann demselben Verlag Exposé und Leseprobe eines aktuellen Projekts vorgestellt habe, hatte ich dort zunächst auf detailiertere Beschreibungen verzichtet. Man bat mich daraufhin, das Exposé und die Leseprobe nochmals zu überarbeiten und mehr Beschreibungen hinzuzufügen. Man wolle, so hieß es, die Geschichte, sehen, fühlen, schmecken und riechen können. Jetzt schreibe ich wieder mit mehr Beschreibungen von Orten und Personen und im Grunde gefällt es mir auch gut.

 

 

Ich denke, es kommt auch ein wenig auf das Genre an. Liebesschmöker-Leser erwarten vielleicht ein wenig mehr Beschreibung von Gefühlen und Gedanken. Und auch das Aussehen ist ihnen wichtig. Ich hatte einige Dinge noch "nachzubessern" auf die Hinweise des Lektors: was fühlt er denn jetzt? Was löst der Kuss bei ihm aus? Und Sexszenen sowieso bis ins Kleinste ... 

 

Ich lasse gern manches im Raum stehen,immer Gefahr laufend,dann doch nicht verstanden zu werden. Manchmal eine Gratwanderung. Aber wenn ich selbst meinen Text kapiere,müssten es doch auch eigentlich die Leser, oder? 

 

Ärgert ihr euch, wenn der Lektor kommentiert: "Verstehe ich jetzt nicht ..." Ich verdrehe dann schon mal die Augen.

 

Brunhilde

 

Genau die Erfahrung habe ich im Lektorat auch gemacht. Mehr Beschreibungen von Gefühlen und Gedanken und mehr Erotik wurden gewünscht. Nein, ärgern tut mich das nicht, wenn ich so einen Kommentar lesen. Im Gegenteil, ich denke mir dann, dass ich es wohl nicht klar genug beschrieben habe und ändere es.

 

Liebe Grüße

Gundula

Bearbeitet von Gundula
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Ich weiß nicht. Ja, okay, Beschreibungen von Figuren überspringen die meisten Leser, ich auch; ob eine Figur nun haselnussbraune oder walnussbraune Haare hat, muss ich nicht wissen. Aber was die Fähigkeit von Lesern anbelangt, subtilere Nuancen eines Textes wahrzunehmen, bin ich ehrlich gesagt inzwischen ziemlich desillusioniert. Wenn einem wichtig ist, dass bestimmte thematische Aspekte verstanden werden, dann kann man die gar nicht explizit genug darstellen.

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Ärgert ihr euch, wenn der Lektor kommentiert: "Verstehe ich jetzt nicht ..." Ich verdrehe dann schon mal die Augen.

 

 

Viel schlimmer ist die Frage "WIESO macht die das jetzt SO?"

 

 

Darauf weiß ich eine gute Antwort: "Frauen sind halt manchmal SO." ;)

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@ Anni und Gundula

Ich antworte dann immer ganz zuversichtlich: Der Leser wird das verstehen.

Hin und wieder komme ich den Änderungswünschen nach, man will ja auch alles richtig machen und traut ja nicht immer so dem eigenen Text. Wie gesagt, eine Gratwanderung.

 

Brunhilde

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Aber was die Fähigkeit von Lesern anbelangt, subtilere Nuancen eines Textes wahrzunehmen, bin ich ehrlich gesagt inzwischen ziemlich desillusioniert. Wenn einem wichtig ist, dass bestimmte thematische Aspekte verstanden werden, dann kann man die gar nicht explizit genug darstellen.

 

 

Ich frage mich, ob diese Fähigkeit abnimmt - so wie die Länge der Aufmerksamkeitsspannen - die Leute zappen durchs Fernsehen und lesen auch so - heute ein paar Seiten da, danach ein paar Seiten ein anderes Buch ... zu oft bei Leserunden erlebt/gehört, die finden nicht einmal was dabei.

 

Auch deshalb meinte ich weiter oben, wir sind ein sehr spezieller Kreis von Lesern im Vergleich zu "Otti Normalleserin".

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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Ein interessantes Thema. Ich muss sagen, ich mag Beschreibungen, die dazu beitragen, dass man sich die Szene besser bildhaft vorstellen kann. In meinem ersten historischen Roman habe ich sehr viel beschrieben, um die Atmosphäre der damaligen Zeit rüberzubringen. Von Seiten meines Verlags wurde gerade dieser Punkt ausdrücklich gelobt. Man könne sich so gut in die Szenen und die Protagonistin hineinversetzen aufgrund meiner Beschreibungen. Als ich dann demselben Verlag Exposé und Leseprobe eines aktuellen Projekts vorgestellt habe, hatte ich dort zunächst auf detailiertere Beschreibungen verzichtet. Man bat mich daraufhin, das Exposé und die Leseprobe nochmals zu überarbeiten und mehr Beschreibungen hinzuzufügen. Man wolle, so hieß es, die Geschichte, sehen, fühlen, schmecken und riechen können. Jetzt schreibe ich wieder mit mehr Beschreibungen von Orten und Personen und im Grunde gefällt es mir auch.

 

Achtung! In meinem Artikel geht es nicht um Beschreibungen, die ich mit keinem Wort erwähnt habe, sondern um Erklärungen. Wir sind hier in der Diskussion ein bisschen abgedriftet.

 

Ein Roman ohne Beschreibungen wäre wohl recht trocken. Wie dein Verlag sagt, sollte man alle Sinne nutzen, um dem Leser die Atmosphäre und die Situation vor Augen zu stellen.

 

Was ich überflüssig finde, ist das Erklärungsbedürfnis vieler Texte. Wenn da etwas steht wie »Ihre Tränen tropften auf das Papier, denn sie war so traurig, dass sie ihren Geliebten nicht sehen konnte, da er sich in Übersee aufhielt und sie sich unendlich nach ihm sehnte« bekomme ich das Gefühl, der Text nimmt seine Leser nicht ernst. Außerdem ist es kein bisschen subtil. Man kann den Inhalt des Satzes in Handlung auflösen und es den Lesern überlassen, daraus Rückschlüsse auf die Gemütslage der jungen Dame zu ziehen.

Bearbeitet von Mascha
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Ich weiß nicht. Ja, okay, Beschreibungen von Figuren überspringen die meisten Leser, ich auch; ob eine Figur nun haselnussbraune oder walnussbraune Haare hat, muss ich nicht wissen. Aber was die Fähigkeit von Lesern anbelangt, subtilere Nuancen eines Textes wahrzunehmen, bin ich ehrlich gesagt inzwischen ziemlich desillusioniert. Wenn einem wichtig ist, dass bestimmte thematische Aspekte verstanden werden, dann kann man die gar nicht explizit genug darstellen.

 Natürlich macht man Kompromisse und kommt dem Leser entgegen. Bis wohin, muss jeder Autor selbst entscheiden.

Ich möchte meinen Lesern zutrauen, selbst auf Dinge zu kommen, und eine Leserunde zu »Das verschlossene Zimmer« hat mich bestätigt. Die Leserinnen haben sehr genau auf die von mir gestreuten Hinweise geachtet und versucht, Zusammenhänge herzustellen. Einige kamen sehr schnell auf die richtige Spur (wussten aber bis zum Schluss nicht, ob sie richtig liegen).

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Ein interessantes Thema. Ich muss sagen, ich mag Beschreibungen, die dazu beitragen, dass man sich die Szene besser bildhaft vorstellen kann. In meinem ersten historischen Roman habe ich sehr viel beschrieben, um die Atmosphäre der damaligen Zeit rüberzubringen. Von Seiten meines Verlags wurde gerade dieser Punkt ausdrücklich gelobt. Man könne sich so gut in die Szenen und die Protagonistin hineinversetzen aufgrund meiner Beschreibungen. Als ich dann demselben Verlag Exposé und Leseprobe eines aktuellen Projekts vorgestellt habe, hatte ich dort zunächst auf detailiertere Beschreibungen verzichtet. Man bat mich daraufhin, das Exposé und die Leseprobe nochmals zu überarbeiten und mehr Beschreibungen hinzuzufügen. Man wolle, so hieß es, die Geschichte, sehen, fühlen, schmecken und riechen können. Jetzt schreibe ich wieder mit mehr Beschreibungen von Orten und Personen und im Grunde gefällt es mir auch.

 

Achtung! In meinem Artikel geht es nicht um Beschreibungen, die ich mit keinem Wort erwähnt habe, sondern um Erklärungen. Wir sind hier in der Diskussion ein bisschen abgedriftet.

 

Ein Roman ohne Beschreibungen wäre wohl recht trocken. Wie dein Verlag sagt, sollte man alle Sinne nutzen, um dem Leser die Atmosphäre und die Situation vor Augen zu stellen.

 

Was ich überflüssig finde, ist das Erklärungsbedürfnis vieler Texte. Wenn da etwas steht wie »Ihre Tränen tropften auf das Papier, denn sie war so traurig, dass sie ihren Geliebten nicht sehen konnte, da er sich in Übersee aufhielt und sie sich unendlich nach ihm sehnte« bekomme ich das Gefühl, der Text nimmt seine Leser nicht ernst. Außerdem ist es kein bisschen subtil. Man kann den Inhalt des Satzes in Handlung auflösen und es den Lesern überlassen, daraus Rückschlüsse auf die Gemütslage der jungen Dame zu ziehen.

 

 

Liebe Mascha,

 

das ist in der Tat etwas ganz anderes. Da einige meiner Vorposter von Personenbeschreibungen und Beschreibungen von Gefühlen sprachen, bezog sich mein Kommentar auf Beschreibungen.

 

Um jetzt auf Dein Thema zu kommen: Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass ich Dinge versucht habe subtil auszudrücken ohne sie zu beschreiben und es beim Leser leider nicht ankam. Manchmal wurde auch im Lektorat gewünscht, ich möge es mehr erklären. Von daher bin ich mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob ich vielleicht von meiner Warte aus, von Dingen ausgehe, die für mich selbsterklärend sind, aber für Leser halt nicht. Ich denke mir, es ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass man in den eigenen Figuren so drinsteckt, dass für einen selbst vieles selbstverständlich ist, für die Leser aber nicht. Natürlich muss es nicht so platt sein, wie in Deinem Beispielsatz. Meistens löse ich das Problem jetzt so, dass die die Gedanken der Figuren mehr zum Ausdruck bringe, in Form von inneren Monologen oder Erinnerungen und nicht in solchen Erklärungssätzen, so wie in Deinem Beispiel. Der Leser kann dann selber die Schlussfolgerungen leichter ziehen, wenn die Gefühle mehr beschrieben werden. Eine Erklärung, wie in Deinem Beispiel, klingt, wie Du schon sagst, sehr flach und ist in meinen Augen auch stilistisch sehr unschön. Das Gesagte bezieht sich jetzt auf Dein Beispiel, was die Erklärung von Gefühlen angeht. Wenn es um Sachverhalte geht, muss man die nötigen Erklärungen natürlich anders einbinden.

 

Liebe Grüße

Gundula

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Bei Reaktionen und Gefühlen finde ich es schon sinnvoll, den Leser wissen zu lassen, was der Beweggrund ist. Damit er die Reaktion oder das Gefühl nachvollziehen und sich mit der Figur identifizieren kann. Man muss es ja nicht plump hinschreiben, sondern einen Gedanken anfügen, der deutlich macht, was die Reaktion oder das Gefühl zu bedeuten hat. Wenn sich eine Erklärung aus dem Dialog oder dem Sachverhalt von selbst ergibt, ist eine Beschreibung natürlich überflüssig, denn dumm sind die Leser wirklich nicht.

Bei Beschreibungen von Äußerlichkeiten bin ich auch der Meinung, dass ein paar hervorstechende Details reichen, damit der Leser das restliche Bild im Kopf zusammenfügen kann - und zwar so, wie er das sieht. Denn da gibt es nichts zu verstehen, das trägt ja nur zur Orientierung bei.

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Ja, Mascha (und Ihr anderen) habt in vielen Punkten recht, aber pauschal kann ich das nicht unterschreiben. Sicher sind menschliche Reaktionen wie Wut, Ärger, Angst … zu allen Zeiten ähnlich gewesen, doch das Aussehen von Personen, ihre Kleidung, ihr Umfeld und ihre sonstige Umgebung sowie insbesondere kulturelle Sitten und regionale Bräuche sind z.B. bei den Lesern Historischer Romane nicht von vornherein vorauszusetzen. Hinweise auf zeitbedingte Normen und Werte müssen wenigstens andeutungsweise erklärt werden, sonst können Leser ihre Auswirkungen auf die Romanfiguren und damit oft auf den weiteren Verlauf der Handlung nicht nachvollziehen.

Gerade wieder in einer Leserunde erlebt: Das Wissen von heute wurde meinen „damaligen“ Personen 1:1 übergestülpt ... Da hatte ich meinen Lesern wohl doch zu viel Mitdenken zugetraut!

 

Lieben Gruß

Doris

MAROKKO-SAGA: Das Leuchten der Purpurinseln,  Die Perlen der Wüste,  Das Lied der Dünen; Die Wolkenfrauen

Neu seit März 2020: Thea C. Grefe, Eine Prise Marrakesch

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Um es mal von der anderen Seite anzugehen: Wer ist der Leser? Die Leser sind sehr unterschiedlich in ihrer Leseerfahrung. Leser, die es gewohnt sind, dass ihnen alles vorgekaut wird, werden sich unterversorgt fühlen, wenn ein Text subtil und mit Leerstellen arbeitet, sodass der Leser interpretierend "mitarbeiten" muss. Das führt dazu, dass der Leser sich langweilt. Ein Leser, der dieses "Mitarbeiten" aber gewohnt ist, wird einen Text, in dem alles vorgekaut wird, als redundant und langweilig empfinden. Wem soll man es recht machen? Es wird auf keinen Fall schaden, sein Zielpublikum zu kennen. Wie man es dann bedient, lässt sich ja dosieren.

 

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Genau, Andreas, und durch Erfahrungen lernt man dieses  Zielpublikum ja auch besser kennen.

 

Ebenfalls wichtig ist das Genre, denke ich. Ein rasant geschriebener Thriller kommt vermutlich mit wenig bis gar keinem "background" aus.

Ein Familienepos hingegen, das den Bogen über mehrere Generationen spannt oder in einem fernen Land angesiedelt ist, benötigt zum Verständnis sicher die eine oder andere Erklärung. Und auch Romane, die im Krieg oder der Nachkriegszeit, ja, sogar in den 1950-er Jahre spielen, sind für viele Leser "ohne" kaum zu verstehen.

 

Maschas Punkte 3 und 5 jedenfalls sind für mich (und meine Erfahrungen) zweifelhaft.

 

Lieben Gruß

Doris

Bearbeitet von DorisC

MAROKKO-SAGA: Das Leuchten der Purpurinseln,  Die Perlen der Wüste,  Das Lied der Dünen; Die Wolkenfrauen

Neu seit März 2020: Thea C. Grefe, Eine Prise Marrakesch

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Um es mal von der anderen Seite anzugehen: Wer ist der Leser? Die Leser sind sehr unterschiedlich in ihrer Leseerfahrung. Leser, die es gewohnt sind, dass ihnen alles vorgekaut wird, werden sich unterversorgt fühlen, wenn ein Text subtil und mit Leerstellen arbeitet, sodass der Leser interpretierend "mitarbeiten" muss. Das führt dazu, dass der Leser sich langweilt. Ein Leser, der dieses "Mitarbeiten" aber gewohnt ist, wird einen Text, in dem alles vorgekaut wird, als redundant und langweilig empfinden. Wem soll man es recht machen? Es wird auf keinen Fall schaden, sein Zielpublikum zu kennen. Wie man es dann bedient, lässt sich ja dosieren.

 

Andreas

 

Ganz deiner Meinung, Andreas. Natürlich kann ich für ein Genrepublikum nicht so elliptisch schreiben wie für ein explizit literarisches Publikum.

Ich stelle mir aber eher die Frage, welches Publikum ich haben möchte. Wenn sich dann jemand in meinem Text nicht zurechtfindet, weil er überfordert ist, bin ich die falsche Autorin für diesen Leser (wobei ich eigentlich sehr einfach und verständlich schreibe, aber eben nicht alles bis ins letzte Detail erkläre).

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Genau, Andreas, und durch Erfahrungen lernt man dieses  Zielpublikum ja auch besser kennen.

 

Ebenfalls wichtig ist das Genre, denke ich. Ein rasant geschriebener Thriller kommt vermutlich mit wenig bis gar keinem "background" aus.

Ein Familienepos hingegen, das den Bogen über mehrere Generationen spannt oder in einem fernen Land angesiedelt ist, benötigt zum Verständnis sicher die eine oder andere Erklärung. Und auch Romane, die im Krieg oder der Nachkriegszeit, ja, sogar in den 1950-er Jahre spielen, sind für viele Leser "ohne" kaum zu verstehen.

 

Maschas Punkte 3 und 5 jedenfalls sind für mich (und meine Erfahrungen) zweifelhaft.

 

Lieben Gruß

Doris

 

Ich mag es bei historischen Romanen sehr gerne, wenn mir nicht alles erklärt wird, sondern ich ins kalte Wasser geworfen werde und mir vieles (nicht alles natürlich) selbst erschließen muss. Denn die Perspektivträger sehen sich ja selbst nicht von Außen, für sie ist all das, was auf den Leser exotisch/fremd wirkt, eine Selbstverständlichkeit. Ich fühle mich dann viel tiefer in die jeweilige Welt hineingesogen und bin näher an den Figuren dran. Im Notfall kann man ja mal schnell im Netz recherchieren.

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Ich habe mal ein kleines Beispiel und bin neugierig, wie ihr das seht. Es ist eine Szene in meinem neuesten Roman.  Freunde sitzen im Garten beim Mittagessen und unterhalten sich. Die Sonne scheint, Kinder spielen nebenan, es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Gilbert und Gerlaine sind ein Ehepaar, das sich liebt, und das weiß der Leser. Jetzt dieser Satz:

 

"Irgendeine ... (Dialog) ... erwartet", sagte Gerlaine, die entspannt an meiner Schulter lehnte. "(weiter im Dialog)"

 

Mir geht es um dieses entspannt an Gilberts Schulter lehnen. Für mich drückt das eine Menge aus. Vertrautheit miteinander, das schöne Gefühl beieinander zu sitzen, Zärtlichkeit und Vertrauen in den anderen. Das hätte ich natürlich alles sagen können, aber ich habe es nicht getan in der Hoffnung, der Leser versteht.

 

Wie seht ihr das? :)

Bearbeitet von Ulf Schiewe

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ich habe mal ein kleines Beispiel und bin neugierig, wie ihr das seht. Es ist eine Szene in meinem neuesten Roman.  Freunde sitzen im Garten beim Mittagessen und unterhalten sich. Die Sonne scheint, Kinder spielen nebenan, es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Gilbert und Gerlaine sind ein Ehepaar, das sich liebt, und das weiß der Leser. Jetzt dieser Satz:

 

"Irgendeine ... (Dialog) ... erwartet", sagte Gerlaine, die entspannt an meiner Schulter lehnte. "(weiter im Dialog)"

 

Mir geht es um dieses entspannt an Gilberts Schulter lehnen. Für mich drückt das eine Menge aus. Vertrautheit miteinander, das schöne Gefühl beieinander zu sitzen, Zärtlichkeit und Vertrauen in den anderen. Das hätte ich natürlich alles sagen können, aber ich habe es nicht getan in der Hoffnung, der Leser versteht.

 

Wie seht ihr das? :)

Ich sehe das genau so bzw. "fühle" ich das genau so, Ulf. Aber wir lesen auch anders, weil wir selbst schreiben. Jemand anderer überliest das vermutlich, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Und wir sind dann ganz erstaunt, dass diese Gefühle zwischen den Zeilen beim Gegenüber nicht ankommen. Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel.

 

Ich denke bei dem Thema immer öfter, dass ich über solche (Nicht)Reaktionen einfach nicht erstaunt resp. enttäuscht sein darf. Das ist wie bei eingestreuten Gimmicks, die mich als Autorin zwar erfreuen und schmunzeln lassen, andere aber oft gar nicht bemerken. Autorenrisiko. :-)

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