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Sabine

Der Protagonist als Täter

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 Es gibt auch Momente, wo sich der Leser fragen wird, ob das alles so stimmt.

 

Das würde ich noch mal überdenken.

 

Sobald ich als Leser auch nur den Verdacht hätte, dass der Prota psychisch krank sei und alles damit zu tun habe,

wäre für mich die Spannung komplett weg.

 

Es sollte Szenen geben, wo sich der Leser nachher sagt: "Da hättest du drauf kommen müssen".

 

Aber er darf nicht schon beim Lesen den Verdacht haben.

Sonst funktioniert die Überraschung nicht. Und die ist bei diesen Auflösungen eigentlich das Allerwichtigste.

Bearbeitet von MichaelT
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Das ist ja der Spaß an der Sache:

Diese Szenen, die Schlüsselszenen, die müssen einerseits unauffällig sein, damit der Leser sie nicht durchschaut. Andererseits müssen sie präsent genug sein, dass sie dem Leser nach der Auflösung sofort vor dem geistigen Auge aufploppen.

Im Film werden diese Szenen ja idR kurz eingespielt. Im Roman kann man das theoretisch auch machen ... eleganter ist es aber, wenn man das nicht nötig hat.

 

Ich bin mit Michael einer Meinung: Wenn der Leser erst den Verdacht hat, müsste er über die Hinweise auf die Lösung kommen. Und dann kann der Roman ziemlich gut sein, der Leser wird trotzdem das Gefühl haben, dass das Buch bei ihm nicht "funktioniert" hat, weil er die Lösung zu schnell gefunden hat.

Andererseits müssen wir Romane auch immer so schreiben, dass sie auch dann noch interessieren, wenn die Leser durch die erste spoilende Amazon-Rezension alles wissen - oder weil sie das Ende zuerst lesen.

 

Schade, dass man sowas nur einmal schreiben kann ;)

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Andererseits müssen wir Romane auch immer so schreiben, dass sie auch dann noch interessieren, wenn die Leser durch die erste spoilende Amazon-Rezension alles wissen - oder weil sie das Ende zuerst lesen.

 

Das ist beim Krimi und Thriller m.E. aber vergleichbar mit der Aufgabe, einen Eimer ohne Boden und ohne Deckel mit Wasser zu füllen.

 

Das erwarte ich als Leser auch von absoluten Spitzenautoren nicht.

Und sie könnten es auch gar nicht schaffen - zumindest bei mir als Leser nicht.

 

Wenn ich die Auflösung vorher kenne, ist ein Spannungsroman für mich völlig witzlos.

Bearbeitet von MichaelT
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Wirklich?

Aber liest denn der Thriller-Leser den Roman nur um einer einzigen Frage - wer ist der Täter? -  wegen?

 

Ich schreibe normalerweise keine Thriller ("Es war ein Unfall!") sondern ... Liebesromane. Da ist die entscheidende Frage - kriegen sie sich? - eigentlich vom Cover und vom Titel an geklärt: Du siehst auf den ersten Blick: happy End - die kriegen sich, oder: Drama: die kriegen sich nicht und / oder einer stirbt.

Und trotzdem sind die Romane entweder interessant und spannend oder langweilig und öde. Das hat mit der entscheidenden Frage einfach gar nichts zu tun. Ein spannender, interessanter Roman wirft ja nicht nur die eine, große Frage auf, sondern eine Vielzahl von weiteren.

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Vom Liebesroman habe ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung.

 

Darum sprach ich ja speziell von Krimis und Thrillern.

 

Ich stelle mir vor, ich lese einen Thriller von Sebastian Fitzek oder Charlotte Link (um mal die beiden

deutschen Top-Autoren des Genres zu nennen), und kenne die Auflösung vorher.

Ich weiß nicht, wie ich da noch Spannung empfinden könnte und unbedingt weiterlesen wollen würde.

 

Kann mir auch nicht vorstellen, dass das ein wesentlicher Teil der hunderttausenden Leser der beiden anders sieht.

 

Ich will miträtseln, alle paar Seiten meinen Täter-Tipp ändern; Gänsehaut bei Cliffhangern haben; immer mehr wissen wollen, wie alles zusammenhängt - und am Ende überrascht werden (nicht nur vom Täter, sondern auch vom Motiv, Hintergründen usw.).

Bearbeitet von MichaelT
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Hallo Sabine,

 

ich finde das Thema psychisch Kranker = Täter schwierig. Mich ärgert es sehr, dass psychisch Kranke, wenn sie denn überhaupt mal thematisiert werden, meist verhaltensauffällig oder gleich Mörder sind. Von daher zieht sich bei mir bei dem Thema gleich alles zusammen. Schizophrenie ist keine geordnete Wahnwelt, in der man morgens dem gleichen Wahn ausgesetzt ist wie abends. Das ändert sich ständig, da kann es sein, dass man beim Aufstehen glaubt, an den schlimmsten Morden schuld zu sein, und fünf Minuten später, selbst einer der zu Ermordenden zu sein. Eine geordnete Wahnwelt, wie ich sie bei dir herauszulesen glaube, halte ich für wenig realistisch. Ich muss allerdings sagen, dass ich mich mit dissoziativen Persönlichkeitsstörungen nicht auskenne, vielleicht ist so etwas dort denkbarer.

Du sagtest ja, du hast schon viel recherchiert.

 

Dennoch: Ich wünsche mir Romane mit psychisch Kranken, in denen sie weder Opfer noch Täter sind. Okay, vielleicht schreib ich selbst mal so einen.

 

Liebe Grüße

Kerstin

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Hallo Sabine,

alle Schizophrenen mit Wahnvorstellungen, die ich in meiner Arbeit gesehen habe, hatten extreme Angstzustände. Die Angst ist so riesig, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass sie in einem aktuen Schub gewalttätig werden könnten. Aber ich habe auch nie in der Forensik gearbeitet.

Multiple Persönlichkeiten haben tatsächlich Phasen, die sogar sehr lange sein können, von denen sie nachher nicht mehr wissen, was sie getan haben. Und es ist unmöglich für sie, sich jemals daran zu erinnern.

Beides zusammen habe ich allerdings nie gesehen.

Aber deine Frage ist ja nicht, ob deine psychologische Konstruktion der Täterpersönlichkeit realistisch ist. Vermutlich gibt es alles in allen Kombinationen, wenn auch nur selten, sodass du es so machen kannst. Viel eher willst du ja wissen, ob die Leser sich verschaukelt fühlen werden.

 

In "Riven Rock" von T.C. Boyle gibt es am Anfang eine Szene eines Krankenwärters, wo er aus der Ich-Perspektive daran denkt, wie er seine Frau geschlagen hat. Er stellt es für sich selbst innerlich so dar, dass er gar nichts dafür kann, dass ihre Wange seiner Hand so nahe kam. Dieser Mann hat keine Wahnsvorstellungen, er denkt, wie vermutlich die meisten Täter denken. Er zieht sich aus der Verantwortung für sein Handlen, er verdreht es so lange, bis er dabei gut wegkommt, er beruhig sich damit, dass er eigentlich gar nichts gemacht hat.

Ich kann mir gut vorstellen, so einen Roman zu lesen, ohne mich verschaukelt zu fühlen. In die Innensicht einztauchen und mitzubekommen, wie jemand die Realität für sich so dreht, dass alles in Ordnung ist, ist interessant. Und es ist im Grunde etwas, das wir doch alle kennen. Wir drehen doch auch Vieles so lange, bis es in unser Bild von uns selbst passt und erinnern uns dann dem entsprechend. Wie viele Täter sagen: Das habe ich nie gemacht. Mütter zum Beispiel, die ihre Kinder geschlagen haben. Dafür braucht es gar keine Schizophrenie oder Multiple Persönlichkeit.

 

Liebe Grüße

Elke

Romane:  http://weigel-elke.net/      Sachbücher/Psychotherapie: https://weigel-elke.de/

Instagram: https://www.instagram.com/elke_weigel_psychologin/

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Andererseits müssen wir Romane auch immer so schreiben, dass sie auch dann noch interessieren, wenn die Leser durch die erste spoilende Amazon-Rezension alles wissen - oder weil sie das Ende zuerst lesen.

 

 

Finde ich nicht. Wer so doof ist, sich spoilern zu lassen, kann nicht vom Autor erwarten, dieses wieder auszubügeln.

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Wirklich?

Aber liest denn der Thriller-Leser den Roman nur um einer einzigen Frage - wer ist der Täter? -  wegen?

 

Ich schreibe normalerweise keine Thriller ("Es war ein Unfall!") sondern ... Liebesromane. Da ist die entscheidende Frage - kriegen sie sich? - eigentlich vom Cover und vom Titel an geklärt: Du siehst auf den ersten Blick: happy End - die kriegen sich, oder: Drama: die kriegen sich nicht und / oder einer stirbt.

Und trotzdem sind die Romane entweder interessant und spannend oder langweilig und öde. Das hat mit der entscheidenden Frage einfach gar nichts zu tun. Ein spannender, interessanter Roman wirft ja nicht nur die eine, große Frage auf, sondern eine Vielzahl von weiteren.

Beim Liebesroman geht es ja auch darum, die geschilderten Gefühle mitzuerleben. Es geht darum, sich von der Geschichte verführen zu lassen, es geht ganz viel um das "Wie kriegen sie sich", es geht um Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden etc.

 

Thriller/Krimi-Leser wollen natürlich auch Gefühle miterleben, aber die wichtigste Frage ist die der überraschenden Auflösung. Darin sehe ich einen der größten Genre-Unterschiede zwischen Liebes und Spannungsroman. Auch der Liebesroman will spannend sein, auch der Spannungsroman Gefühle erzeugen (allerdings die von Angst, Beklemmung etc.). Aber die große Überraschung am Schluss ist der Unterschied. Die gibt es beim Liebesroman nicht, sondern eine Auflösung aller Hindernisse.

 

LG Ulrike

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Hm, wenn Schizophrene so unter Angstzuständen leiden, jeden Tag eine andere Bedrohung vermuten und keine Gewaltausbrüche haben, dann frag ich mich, wie das bei Beautiful Mind funktioniert hat. Diesen John Nash gab es ja wirklich.

Vermutlich ist es wirklich so, dass man das nicht verallgemeinern kann. Die Psyche ist unberechenbar.

 

Zu dem Einwand, dass der Leser überhaupt nichts ahnen darf:

Was, wenn der Leser ganz zu Anfang denkt, es könnte durchaus sein, dass das alles so nicht stimmt, weil die Protagonistin Dinge glaubt, die in der Realität normalerweise nicht passieren. Aber dann passieren diese Dinge im Roman tatsächlich. Der Leser erlebt es selbst mit und die Protagonistin deckt immer mehr Tatsachen auf, wodurch alles einen Sinn ergibt. Und dann am Ende stellt sich raus, dass doch alles nur ihrem Wahn und dem Bedürfnis entsprang, die innere Ordnung wieder herzustellen. Wird der Leser dann sagen: Ich habs ja ganz zu Anfang gesagt, dass das alles nur Einbildung ist. Oder wird er sagen, oh Mann, da hat mich die Autorin echt dran gekriegt.

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Mit einem Ich-Erzähler als Täter kann ich auch aufwarten. Der Aufbau dieser Figur war für mich eine reizvolle Herausforderung. Allerdings glaube ich nicht, dass es mir Spaß gemacht hätte, einem Mörder oder Kinderschänder die Feder in die Hand zu drücken. Da gibt es bei mir Grenzen.

 

LG

Helene

Helene Luise Köppel:  Romanreihe "Töchter des Teufels" (6 Historische Romane über den Albigenserkreuzzug); sowie Romanreihe "Untiefen des Lebens"  (6 SÜDFRANKREICH-thriller), Neu in 2022: "Abkehr".

                                         

                                 

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Andererseits müssen wir Romane auch immer so schreiben, dass sie auch dann noch interessieren, wenn die Leser durch die erste spoilende Amazon-Rezension alles wissen - oder weil sie das Ende zuerst lesen.

 

 

Finde ich nicht. Wer so doof ist, sich spoilern zu lassen, kann nicht vom Autor erwarten, dieses wieder auszubügeln.

 

 

Vielleicht denke ich da zu sehr an die Blogger & Rezensenten.

Die lesen viele Rezensionen und schreiben viele Rezensionen. Und früher oder später kommt immer jemand, der spoilert. Wenn man die dann alle verliert, ist das schade.

 

Aber mir geben Romane grundsätzlich nichts, wenn ihr Wert einzig an einer Frage und der Antwort hängt.

 

Sabine, John Nash gab es, aber in der Realität war er wohl nicht besonders fillmtauglich - was zeigt, dass es durchaus funktioniert, sich da Freiheiten zu nehmen. Aber es muss stimmig bleiben. Ein John Nash, der über seine Angstattacken das Baby in die badewanne legt und vergisst - passt.

Aber in dem Sinne aktiv zu werden, jemanden zu ermorden?

(ich muss zugeben, ich erinnere mich nicht mehr, was er gemacht hat.)

 

Interessant ist Wiebke Lorenz' Roman "Alles muss versteckt sein" (auch wenn mich die Auflösung enttäuscht hat - der Thriller funktioniert trotzdem.)

Die Protagonistin hat Zwangsvorstellungen - sie kommt nicht gegen die Fantasie an, Menschen (bevorzugt Kinder) zu töten. Es wird immer wieder betont, dass Menschen mit Zwangsvorstellungen nicht zu Gewalt neigen und für andere vollkommmen ungefährlich sind. Trotzdem ist man sehr lange im Unklaren und rätselt hin und her, ob sie es nun getan hat oder nicht.

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Im Film wurde Nash von seinem imaginären Agenten aufgehetzt, seine Frau zu töten, weil sie Nashs Psychiater anrief. Er hat es zwar nicht getan, aber er hat ihr dann gesagt, dass er nicht dafür garantieren kann, dass er ihr nicht irgendwann was antut, weil ihm seine Wahnvorstellungen so im Griff haben.

 

Andererseits gibt es ja genug Mörder, die psychisch krank sind und deshalb morden. Die Frage ist, ob ein Schizophrener jemanden tötet, weil er glaubt, dass derjenige ihn töten will. Oder weil seine Wahrnehmungen so verschoben sind, dass er keine andere Möglichkeit sieht, als die Menschen zu töten, die seinem Ziel im Weg stehen.

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Liebe Sabine,

 

das Ding ist eben die Unberechenbarkeit, die dem psychisch Kranken solche Angst macht wie auch seiner Umgebung, denke ich. Dass man jemandem, der z. B. an einer paranoiden Schizophrenie leidet, gegenübersitzt und nicht genau weiß: Wie schätzt der mich nun ein? Bin ich Feind oder Freund? Bin ich, wenn ich jetzt Freund bin, vielleicht in fünf Minuten Feind, weil er Stimmen hört oder weil die Dame im Fernsehen etwas sagt, das ihn glauben lässt, ich sei nun der Feind? Das ist das Beängstigende, zumindest aus meiner Erfahrung. Gewalttaten werden von psychisch Kranken nicht häufiger verübt als von gesunden Menschen, sondern  meist größer ausgebreitet in den Medien.

 

Natürlich gibt es schizophrene Mörder. Bei ihnen lässt sich eben schwer nachvollziehen, was sie zu der Tat getrieben hat – Mord aus Habgier, Mord aus Hass oder Wut ist für Gesunde zwar noch lange nicht verständlich, aber eben nachvollziehbarer, als wenn jemand als Grund anführt, der Teufel hätte in dem Ermordeten gewohnt und sei nun besiegt.

 

Aber dir ging es doch eigentlich um die Frage, ob man sich als Leser womöglich auf den Arm genommen fühlt, oder? Sorry, ich hab darauf gar nicht geantwortet, mir fiel aber noch ein, dass ich  den Film "Identität" gesehen habe und da sehr enttäuscht war, weil der Mörder sich als gespaltene Persönlichkeit herausstellte und die Ermordeten alle eigene abgespaltene Persönlichkeiten von ihm waren. Das war allerdings vielleicht auch deshalb für mich enttäuschend, weil ich die ganze Zeit dachte: "Wow, wie kriegen die in dem Film jetzt die Kurve, das alles ist dermaßen verwirrend und beängstigend, wer soll denn da der Täter sein?". Und am Ende bringt eben bloß jemand seine eigenen abgespaltenen Identitäten um, fand ich ziemlich grotesk. Es kommt, finde ich, darauf an, wie sehr man sich in die Psyche desjenigen einfühlen kann, sowohl als Autor und dann eben als Leser (oder Zuschauer). Und das ist, finde ich, ein ganz schön großes Ding. Schizophrenie ist so vielfältig wie grausam und beängstigend, für die Betroffenen vor allem, aber auch für ihr Umfeld. ich würde mich da nicht ranwagen, aber das mag daran liegen, dass ich psychisch Kranke im direkten Umfeld habe. Daher eben auch mein Ärger, wenn ich das Gefühl habe, sie erscheinen per se als gewaltbereit.

 

Liebe Grüße

Kerstin

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Ja, der Schlüssel ist denk ich mal, dass der Leser nachvollziehen kann, was in der Protagonistin passiert, was ihre Beweggründe sind. Dann wird er am Ende nachvollziehen können, warum sie es getan hat und warum es für sie die einzig richtige Wahl war. Auch wenn er es nicht für gut heißen wird und die Protagonistin womöglich auch nicht mehr mögen wird. Das kann passieren, aber auf der anderen Seite ist das Buch ja dann eh zu Ende. Er wird es weglegen und mit diesen Gefühlen entlassen. Vielleicht hat er auch Mitleid mit ihr, was ich hoffe. Aber das kommt vermutlich auf den Menschen an, der das Buch liest.

 

Ich glaub nicht, dass jeder einen psychisch kranken von vornherein als gewalttätig ansieht. Auch wenn es in Thrillern nur so davon wimmelt. Als gesunder Leser weiß man ja trotzdem, dass das Fiktion ist und dass die Realität nicht nur schwarz-weiß ist.

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Wenn es gut gemacht ist, geht alles. Ob das dann Verlag und Leser auch mögen, ist eine andere Frage.

Negative Protagonisten - und ein Täter ist negativ, auch, wenn man seine Tat moralisch und sogar dramaturgisch rechtfertigen kann - sind ein Thema für sich. Bereits Andeutungen dieser Art in Exposés führen regelmäßig dazu, dass die Programmkonferenzen im Ballett die Köpfe schütteln.

 

Herzlich,

Tom

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Das ist dann natürlich blöd.

Aber gibt es nicht auch Thriller, die aus der Sicht des Mörders geschrieben sind? Das Parfüm fällt mir da z.B. ein. Warum funktioniert das da?

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Ich denke, Bret Easton Ellis hat es auf die Spitze getrieben, mit "American Psycho". Da kommt der Täter sogar ungeschoren davon, obwohl er ein bestialischer Serienmörder ist.

 

Warum das funktioniert (hat)? Weil so etwas gelegentlich funktionieren kann - wenn es exzellent gemacht ist, wenn der Skandal einkalkuliert wird und die Kalkulation aufgeht. Im Normalfall erwarten Leser und Verlage - leider - ein versöhnliches Ende. Selbst dezente Twists oder offene Enden werden höchstens zähneknirschend abgekauft.

 

Aber jeder Einzelfall ist anders. Versuch macht kluch.

 

Herzlich,

Tom

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Das ist dann natürlich blöd.

Aber gibt es nicht auch Thriller, die aus der Sicht des Mörders geschrieben sind? Das Parfüm fällt mir da z.B. ein. Warum funktioniert das da?

Grenouille wird als Opfer dargestellt - das Baby, das in den Müll fällt und fast vergessen wird - da hat er unser aller Herz von Anfang an. Zudem erhält er am Schluss seine gerechte Strafe. Zudem ist hier der Voyeur-Effekt hoch, der Leute auch dazu bringt, bei einem Unfall zu gaffen. Zudem ist der Roman sehr poetisch, wenn er Gerüche beschreibt, öffnet sich doch für die meisten eine neue Welt. Mich hatte das beim ersten Lesen jedenfalls sehr beeindruckt.

 

Man darf aber auch nicht vergessen, dass Patrick Süskind sehr, sehr viele Absagen kassierte, bis dieser kontroverse Stoff veröffentlicht wurde.

 

Eine der ersten, die einen "negativen" Helden erfand, war ja Patricia Highsmith und "Der talentierte Mr Ripley". Auch hier ist es so, dass von Anfang an Ripley ein zu kurz gekommener Mensch ist, dem man seinen Teil vom Kuchen gönnt. Er begeht kleinere Trickbetrügereien, sie werden größer, nie wird er geschnappt, die Leute, die er bestiehlt, sind reich und naiv. Bis der erste Mord geschieht, hat man ihn schon so gerne , dass man ihm nur noch wünscht, dass er es schafft und nicht geschnappt wird. Und das fünf Bände lang.

 

Diese Vorgeschichte erscheint mir sehr wichtig zu sein, um einen negativen Helden zu platzieren. Mit der richtigen Einführung würde man vielleicht sogar mit einem Pädophilen oder mit einem Serienmörder mitfiebern können.

 

LG Ulrike

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Ich schließe mich Tom an: Wenn es gut gemacht ist, geht alles.

 

Der Plot muss nur logisch sein, das Handeln des Protagonisten nachvollziehbar. Eine multiple Persönlichkeitsstörung finde ich überzeugend (auch wenn es vielleicht nicht ganz der Realität entspricht), aber auch schon fast das Einzige, was es im Bereich unzuverlässiger Protagonist gibt. Mir fiele sonst noch eine schwere Amnesie aufgrund eines Traumas, einer Krankheit oder eines Unfalls ein, aufgrund der die Protagonistin vergessen hat, dass sie die Tat begangen hat.

 

Im Übrigen finde ich Protagonisten als Täter sehr spannend, meiner Meinung nach gibt es viel zu wenige davon. In diesem Fall geht es ja weniger um die Frage, wer der Täter ist, sondern um die Motive, um die Gründe für das "Böse-Sein", um die Grenzen, ob jemand wirklich "böse" ist oder wieviel "Böses" in jedem von uns steckt.

Komm wir essen Opa.

SATZZEICHEN können Leben retten.

www.mcpoets.de

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Sabine,

du hattest nach Krimis gefragt, in denen die Prota die Täterin ist:

„Klassentreffen“ von Simone van der Vlugt (war ein Topseller), hier ist die Ich-Erzählerin sich ihrer Tat völlig unbewusst, ohne allerdings krank zu sein,

„Ich bin unschuldig“, von Sabine Durrant

und „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“, von Joy Fielding sind solche Bücher, wobei ich vom letzten Roman sehr fasziniert war (In „Ich bin unschuldig“ fand ich die Prota eher unsympathisch, was im Lauf der Geschichte noch zugenommen hat, und irgendwann kommen auch erste Zweifel beim Leser auf).

 

„Aklibi“ von Agatha Christie fand ich dagegen genial – habe es mehrfach gelesen - , denn der Täter ist ein sehr beliebter Arzt, und das Geniale daran ist, dass er in Ich-Form sehr offen und ehrlich und so dicht an der Tat ist wie irgend möglich, nur, der Leser interpretiert einfach alles ganz anders, ohne groß irgendwelche Zweifel zu haben.

Einer der genialsten Schlüsselsätze ist folgender (der Täter betritt kurze Zeit nach der Tat wieder den Tatort) und schreibt: „Ich tat das Wenige, was noch zu tun war“. Leser denkt – der Mann ist ja Arzt –, er drückt der Leiche vielleicht die Augen zu, oder deckt sie ab, oder Ähnliches. Der Ich-Erzähler meint damit aber, dass er ein Beweismittel verschwinden lässt … das heißt, er ist so ehrlich, so nah an der Wahrheit, wie es überhaupt nur geht. Bis fast zum Schluss kommt keinerlei Verdacht auf.

(Das ist das „Gemeine“ an Agatha Christie: sie hat einem fast jeden Plot schon vor der Nase weggeschrieben.)

 

Ich hatte eine ähnliche Geschichte selbst schon einmal bis ins Detail geplant, da war es aber so, dass meine Prota ihre Tat, die 20 Jahre zurücklag, völlig abgespalten hat und später an die Aufklärung ging, als klärte sie ein völlig fremdes Verbrechen auf. Im Grunde finde ich solche psychologischen Gründe wesentlich faszinierender als eine Erkrankung wie Schizophrenie oder eine multiple Persönlichkeit – das ist für mich so ähnlich wie ein Täter, der volltrunken einen Mord oder Totschlag begeht und wo der Alkoholkonsum dann als mildernder Umstand gilt.

In der Darstellung einer eiskalt planenden Täterin oder einer, deren Verstand, um sie zu schützen, ihre Tat, ähnlich wie ein Trauma, ganz und gar von ihr abspaltet, zeigt sich so richtig die Kunst und die Herausforderung des Schreibens, finde ich. Und genau deshalb finde ich Bücher, in denen das gelungen ist, so faszinierend – dazu gehört natürlich, den Leser, so lange es irgend geht, auf die falsche Fährte zu führen. Und alle Hinweise, die man sät – und die natürlich da sein müssen, sonst löst man den Vertrag mit dem Leser – darf er entweder nicht beachten oder muss sie falsch verstehen/interpretieren. Und das genau, denke ich, ist die Kunst und die Herausforderung – aber eben auch für den Autor ungeheuer spannend.

 

Ich drücke dir die Daumen für deinen Roman!

 

Catherine

Bearbeitet von CatherineK

"Geh, hast du gesagt, du störst mich. Wenn man in die Seele derer blickt, die sich zwingen, getrennt von ihr zu leben, stört man immer." Robert Crottet: Negri, Tagebuch einer Katze

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Danke Catherine für die vielen Buchtipps. Werde ich mir alle ansehen.

Da geb ich dir recht, eine psychische Krankheit hört sich immer irgendwie nach Ausrede an, die alles rechtfertigt. Das hab ich mir auch schon oft gedacht, wenn ich solche Bücher gelesen hab. Deshalb bin ich da auch so unentschlossen.

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Ja, lass dich mal inspirieren, Sabine. Ich selbst finde, Romane mit unzuverlässigen Ich-Erzählern können faszinierend sein, wenn sie gut gemacht sind; dass das aber nicht jeder so sieht, sieht man an den durchwachsenen Amazon-Rezensionen der ersten drei Bücher.

Übrigens gibt es auch einen Wikipedia-Artikel über „Alibi“ (Achtung: dort wird der Inhalt ausführlich beschrieben!)

"Geh, hast du gesagt, du störst mich. Wenn man in die Seele derer blickt, die sich zwingen, getrennt von ihr zu leben, stört man immer." Robert Crottet: Negri, Tagebuch einer Katze

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Er wurde schon genannt: "Der Kameramörder" von Thomas Glavinic. Dort funktioniert es hervorragend - und der Täter ist nicht krank (also nicht manifest psychisch bedient). Erzählt wird aus der Ich-Perspektive, wobei er quasi protokollarisch die Ereignisse eines Wochenendes rekapituliert.

 

Liebe Grüße!

www.isabellastraub.at

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Olivia Kleinknecht

Das kann sehr reizvoll sein. Da gibt es diesen großartigen italienischen Film Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger (Original: Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto)  von Elio Petri (1970) mit Gian Maria Volonté in der Hauptrolle als Inspektor eines Morddezernats. Der Inspektor tötet seine Geliebte  Augusta und ermittelt dann ausgerechnet selbst in diesem Mordfall. 

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