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UlrikeS

Grammatikfrage allgemeine Behauptung

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Hallo Angelika und alle anderen,

 

ich kann mich düster daran erinnern, dass Angelika bei einem Vortrag in Oberursel erklärte, dass auch bei einem Text im Präteritum allgemeine Behauptungen wie "Hibiskus liebe ich besonders" im Präsens geschrieben werden und nicht: "Hibiskus liebte ich besonders."

 

Stimmt das? Und wie heißt die grammatikalische Form?

 

Textauszug: "Der Hibiskus am Wohnzimmerfenster ließ die Blätter hängen. Vorsichtig goss ich ihn und entfernte die verblühten Blätter. Hibiskus liebte ich besonders, er ist mit dem Kakaobaum verwandt. "

 

Ich würde hier gerne "liebe" schreiben, genauso wie bereits "er ist verwandt" (denn das ändert sich ja nie").

 

LG Ulrike

 

 

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Hallo Ulrike,

 

schon vom Sprachgefühl her wird deutlich, dass die beiden Sätze, um die es hier geht ([1] Hibiskus lieb(t)e ich besonders  [2] er ist mit dem Kakaobaum verwandt)  einen unterschiedlichen Status haben.

 

„Er ist mit dem Kakaobaum verwandt“ ist eine allgemeingültige Aussage, die an keine objektive Zeit gebunden ist. Dagegen kann deine Liebe zum Hibiskus sich durchaus ändern. Liebtest du ihn nur als du die verblühten Blätter entferntest oder auch später? Und auch jetzt noch? Hier gibt es durchaus eine Betrachtzeit und eine Sprech-/Schreibzeit, und die Aussage ist an eine Zeit gebunden. Nach meiner Ansicht hängt es davon ab, wie allgemeingültig du deine Liebe zum Hibiskus darstellen willst, ob der Satz im Präsens steht oder nicht.

 

Helbig/Buscha z.B. bezeichnen den Gebrauch des Präsens wie in [2] als generelles oder atemporales Präsenz, das einen allgemeinen Sachverhalt ausdrückt und an keine objektive Zeit gebunden ist.

 

Wie sich deine Hibiskusliebe aus seiner Verwandtschaft zum Kakaobaum ableitet, erklärst du sicher an anderer Stelle?

 

Viele Grüße,

 

Manfred

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Komischerweise fände ich es eher irritierend, wenn da "liebe" im Präsens stünde. Ich glaube, weil es den Ich-Erzähler in einer Gegenwart-Ebene ins Spiel bringt, obwohl es an dieser Stelle doch um eine vergangene Situation geht. Was spielt es für den Moment in der Vergangenheit für eine Rolle, dass er heute, wo er uns davon erzählt, Hibiskus liebt? Was zählt, ist, dass er zum damaligen Zeitpunkt Hibiskus liebte.

Deshalb würde ich es vermutlich nicht ins Präsens setzen.

Außer, die Geschichte hat noch einen anderen Strang, in dem der Ich-Erzähler in der Gegenwart handelt. Vor allem, wenn da der Hibiskus auch eine Rolle spielt.

 

P.S.: Verblühte Blätter? Nicht verwelkte? Irgendwie bring ich "verblühen" mit Blüten in Zusammenhang?

Bearbeitet von AndreasS
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Richtig, „Er ist mit dem Kakaobaum verwandt“, ist eine allgemeingültige Aussage. Aber auch das lässt sich in der Vergangenheit ausdrücken, "Er war mit dem Kakaobaum verwandt", ist eine Beobachtung, die nicht unterstellt, dass dem heute nicht mehr so wäre. Ich würde den ganzen Passus in der Vergangenheit lassen, es sei denn, du möchtest durch das Präsens an dieser Stelle die Gegenwart des Erzählers hervorheben.

 

Andreas

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Ich würde einen Kunstgriff anwenden, damit nicht in einem Satz zwei unterschiedliche Zeitformen stehen und stimme ansonsten Andreas zu. Wie wäre es mit:

 

"Hibiskus liebte ich besonders. Ich hatte einmal gelesen, dass er mit dem Kakaobaum verwandt ist." (oder: sei)

 

LG Cornelia

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Hm.

Ich habe keine klugen Erklärungen parat und kann nur mein Lesegefühl schildern.

In der ersten Version höre ich wie der Erzähler seinen Hibiskus versorgt.

In der zweiten ("ich liebe Hibiskus") hebt er plötzlich bei seiner Tätigkeit den Kopf, sieht mich an. Als Leser fühle ich mich plötzlich direkt angesprochen, einbezogen.

Vermutlich eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich mag das.

 

LG Yvonne.

Neu: "Rosenwein und Apfeltarte" Roman, Juni 2018

http://www.yvonnes-romanwelten.de

Mit wem das Pferd nie durchgeht, der reitet einen hölzernen Gaul (Friedrich Hebbel)

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Hallo Ulrike!

 

Ich hatte genau das gleiche Problem in meinem erzählenden Sachbuch. Ich hatte einige allgemeingültige Aussagen drin, die sich für meine Ohren im Präsens aber schief anhörten, eben weil sie mich aus dem Text rissen. Deshalb habe ich im Endeffekt mit Tricks gearbeitet, so wie Cornelia es oben vorgeschlagen hat.

 

Wie wäre es mit: Hibiskus liebte ich besonders, vor allem/besonders/schon allein wegen seiner Verwandtschaft mit dem Kakaobaum.

 

LG

Angelika

 

PS. Du fragst oben nach einer grammatikalischen Form. Welche meinst du?

"Wem die Deutschstunde schlägt", Goldmann Verlag, 2014

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Hi Ulrike,

 

wie andere schon gesagt haben, ist die Verwandtschaft mit dem Kakaobaum eine Feststellung immerwährender Gültigkeit. Solche Feststellungen wrden gern im Präsens getroffen, speziell in Fachbüchern:

 

Der Delphin ist ein Säugetier. Wasser ist H2O.

 

Aber du könntest diese Aussage auch im Präteritum lassen, das täte dem Definitionscharakter des Satzes keinen Abbruch. Der Satz würde sich dann mehr in den Erzählfluss einbetten lassen, in dieses erzählende Gemurmel, das das Präteritum liefert.

 

Auch dass die Ich-Erzählerin Hibiskus liebt, ließe sich ohne weiteres im Präteritum sagen mit demselben Effekt: Der Erzähler bliebe dann fast unhörbar in seiner Ecke sitzen. Durch das Präsens gewinnt er an Wichtigkeit, er macht auf sich aufmerksam, weniger als Figur, die an der Geschichte teilhat, mehr als derjenige, der sie erzählt. 

 

Der Gebrauch der Zeiten ist im Deutschen wesentlich liberaler als bspw. im Englischen oder den romanischen Sprachen. Und hat tatsächlich nur am Rande mit dem zu tun, was wir uns unter "Zeit" – also so etwas wie gestern-heute-morgen vorstellen. Dafür umso mehr mit Atmosphäre.

 

Du darfst also so ungefähr alles. Aber alles hat auch eine Wirkung. Da muss man halt überlegen, welche Wirkung man will.

 

Herzliche Grüße,

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Angelika, wie gern lausche ich deinen Erklärungen: das ist immer so klar und gut verständlich! Ich müsste mal Nachhilfe bei dir in Sachen Kommasetzung nehmen - ich kann mir das (verfl.... nochmal) einfach nicht merken: die "Verweiswörter" etc. Gibt es nicht "Eselsbrücken" für alte Eselinnen wie mich? Liebe Grüße, Barbara

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Sorry, doppelt, weil die Internetverbindung abbrach und ich die Antwort noch mal losschickte. Kann man das löschen? Danke !!!! LG Ulrike

 

 

Vielen Dank für eure Anmerkungen und entschuldigt, dass ich erst heute antworte. Unser Internet ist zur Zeit mau (im ganzen Ort zeitweise weg), außerdem war ich gestern den ganzen Tag unterwegs.

Ich muss wohl aufpassen, dass im Text wirklich noch die Figur spricht und nicht ich. Ich, Ulrike, würde als Figur betonen, dass ich Hibiskus liebe und woher er botanisch stammt, denn ich prahle gerne mit meinem Wissen.

Meine Figur tut das aber nicht. Die ist bescheiden und mit ihren Gedanken eigentlich ganz woanders - eben grübelte sie noch über finanzielle Probleme, dann gießt sie die Blumen, schaut dabei aus dem Fenster und beobachtet etwas Wichtiges. Die Sache mit den Blumen ist nur eine Überleitung und daher wäre es  nach Angelikas Schilderung  passender, wenn das Gemurmele anhält, ich im Präteritum bleibe und die botanischen Fakten in einen Relativsatz stecke (danke, Angelika!)

 

Schönen Sonntag euch allen,

Ulrike

Bearbeitet von UlrikeS
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Hm. Ich würde das Präsens benutzen. Die Ich-Erzählerin IST doch präsent, vorhanden und wichtig, sonst hättest du diese Form nicht gewählt. Und "ich liebte Hibiskus" würde heißen, dass entweder ihre Liebe oder sie selbst nicht mehr da ist. Was hat ihr der arme Hibiskus getan? Ich würde das Präsens beibehalten, weil es einen ganz weiten zeitlichen Bogen zieht und die Ich-Erzählerin plötzlich direkt mit mir redet, statt irgendwo weit entfernt und unbeteiligt in der Vergangenheit rumzulungern, sich vor mir zu verstecken und zu leugnen, dass sie auch jetzt, während sie mir die Geschichte erzählt, als Person existiert.

Meine Homepage

 

Rabenzeit 1 gibt's als E-book und gedruckt bei Amazon. :)

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Ich bin überhaupt nicht Astrids Meinung. Mich stört es extrem, wenn ich in einem im Präteritum verfassten Text plötzlich einen Satz im Präsens lese. Ich erinnere mich an den Kommentar eines Testlesers, der an den Rand meines Manuskriptes schrieb: "Das muss ja wohl heißen - die Schule steht... - denn sie steht ja noch immer dort. Ich habe die Bemerkung ignoriert und den entsprechenden Satz im Präteritum gelassen, weil ich instinktiv wusste, dass das nicht passt. Ich habe diesen Wechsel auch in sehr wenigen Büchern nur bei anderen Autoren gelesen, und immer hat er mich sehr gestört.

 

LG Cornelia

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Man kann

 

Ich bin überhaupt nicht Astrids Meinung. Mich stört es extrem, wenn ich in einem im Präteritum verfassten Text plötzlich einen Satz im Präsens lese. Ich erinnere mich an den Kommentar eines Testlesers, der an den Rand meines Manuskriptes schrieb: "Das muss ja wohl heißen - die Schule steht... - denn sie steht ja noch immer dort. Ich habe die Bemerkung ignoriert und den entsprechenden Satz im Präteritum gelassen, weil ich instinktiv wusste, dass das nicht passt. Ich habe diesen Wechsel auch in sehr wenigen Büchern nur bei anderen Autoren gelesen, und immer hat er mich sehr gestört.

 

LG Cornelia

Man kann schon variieren. Und es hängt wohl viel vom Einzelfall, der Sprechsituation und den Tatsachen ab.

 

Das Bsp. mit dem Haus passt vielleicht auch nicht so recht - Häuser können abgerissen werden. Insofern hätte ich es wohl auch im Präteritum gelassen.

 

Angelika hatte bei ihrem Vortrag damals einige schöne Bsp. für jede Lösungsmöglichkeit gezeigt, aber ich kann mich nur noch gefühlsmäßig daran erinnern, die Fakten sind leider weg. Aber vielleicht erklärt sie uns das ja auch auf ihrem Blog  ;) 

 

LG Ulrike

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