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(Huutini)

Lesen: Lektoren vs. Buchhändler

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Okay, dieses Thema ist vermutlich wieder komplett sinnfrei. Dennoch bin ich durch Quids Schnelllesethread drauf gekommen, und da hier ja Lektoren wie BuchhändlerInnen anwesend sind, würde mich das Thema einmal interessieren.

 

Grundfrage: Wenn man von Berufswegen viel lesen muss, macht es dann überhaupt noch Spaß? Kann ein Lektor oder Buchhändler überhaupt noch ein Buch lesen, ohne es auf seinen Marktwert hin zu untersuchen, ob nun für den Verlag oder die Buchhandlung, die einen angestellt hat?

 

Oder gibt es da Unterschiede? Können Lektoren Bücher noch 'genießen', weil sie nur 'Manuskripte' auf ihren Wert hin prüfen müssen, beim fertigen Buch aber in die Hush Puppies schlüpfen können, während Buchhändler bei jedem fertigen Buch auf dem Nachttisch überlegen: Ja, das kann ich dem und dem Kunden verkaufen, davon bestelle ich mal ein paar...

 

Oder könnt ihr abends abschalten und ein Buch 'einfach so' genießen?

 

Ich wäre über alle Meinungen glücklich...

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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Oh ja, sicher kann ich Bücher noch genießen. Ich genieße sogar fast jedes Buch, das ich lese, und ich finde es schade, dass ich neben den vielen Sachen, die ich lesen muss, so wenig Zeit finde, die Sachen zu lesen, die ich noch lesen will. Wenn ich angefangen habe zu lesen, kann ich schlecht aufhören: Ich bin lesesüchtig :)

 

Ich kann auch umschalten. Ich kann Bücher schnell lesen, ohne auf Fehler zu achten (was auch sehr vorteilhaft ist, wenn man Manuskripte sichtet). Ich kann einfache Unterhaltungsromane genauso genießen wie sprachlich ausgefeilte Literatur. Ich kann trotz eines Germanistikstudiums noch "triviale Unterhaltungsliteratur" und sogar die verrufene Fantasy genießen, wenn sie auf ihre Weise gut gemacht und stimmig ist. ;D Und obwohl ich auch Geschichte studiert habe, machen mir sogar historisch haarsträubende Bücher Spaß, wenn es in sich passt und die Story "fließt". Ich habe auch schon festgestellt, dass ich mich im Zweifel viel weniger über Mängel aufrege als manch "unvoreingenommener" Leser, der nur einen der vielen Fehler bemerkt und sich dann ganz furchtbar daran aufhängt und das ganze Vergnügen nehmen lässt.

 

Eines meiner intensivsten Leseerlebnisse war ein Lektorat unter Zeitdruck - das Buch war sehr lebendig, und weil der Abgabetermin so eng war, konnte ich außer lesen, essen und den nötigen Schlaf bekommen nichts anderes Ablenkendes mehr tun. Es war, als hätte ich das Buch gelebt :s13

 

Ich glaube also nicht, dass man sich zwangsläufig durch Studium oder Beruf "verderben" lassen muss - das halte ich inzwischen für eine Ausrede. Ein wenig Schizophrenie ist allerdings hilfreich - wenn man beispielsweise als Schlussredakteur dem Journalisten im Brustton der Überzeugung versichern kann, wie schlecht sein Stil ist, obwohl man denselben Stil in einem Buch, zu dem er passt, lieben würde. Und beim Lektorieren muss man den Fehler bekämpfen wie seinen schlimmsten Feind, während man nur freundlich lächelt, wenn man ihm privat begegnet. Vielleicht hilft es auch, wenn man von Anfang an in erster Linie die Abwechslung schätzt und nicht zu festgelegt ist.

 

Ich glaube schon, dass ein Beruf und eine entsprechende Ausbildung die Art, wie man liest, beeinflusst. Aber ich habe es nie als Veränderung "meines" Leseverhaltens empfunden, sondern immer nur als neuen Mantel, den man sich zur Situation passend überzieht - und wieder ablegt, wenn man zu Hause auf der Couch sein Buch auspackt.

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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Hallo Marco,

warum versus? ;-)

Ich habe jahrelang Film- und Literaturkritiken geschrieben und kann dir sagen: Ich kann heute noch beides vollkommen genießen. Allerdings wird man schon sensibler und vergeudet keine Lebenszeit mehr mit Schrott :s22 - ich schalte dann schneller ab und um.

Schöne Grüße,

Petra

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Lustig. Also, seit ich beim Film gearbeitet hab, kann ich keine deutsche Produktionen mehr sehen.

Ich weiß immer genau, wo sich das 30-köpfige Team gerade in die Ecke quetscht, wo der Cateringtisch mit den trockenen Mortadellabrötchen steht, und wo 20 Meter Klebeband die Kabel aus dem Bild halten. Bei ausländischen Produktionen hab ich das seltsamerweise nicht, die kann ich noch gucken.

 

Und mein Germanistik- und Geschichtsstudium verdirbt mir auch leider vieles.

Ich hatte ein Seminar über Groschnromane, und musste zehn Western lesen - das war hart! Echt hart!!! Wenn in einem Absatz zweimal eine Aussage wiederholt wird... Und die Frau zweimal meint, der große Starke Mann müsste Lassiter sein... :s07 :s07

 

Also, meine Wahrnehmung hat sich eindeutig verändert.

Aber der Spinner macht mir ja Hoffnung, dass sich das wieder legen kann.

 

@Petra

Na, warum wohl 'versus'? Simple "Regel": Konflikte, Konflikte, Konflikte... ;):s21;)

 

(Sorry, konnte nicht widerstehen! ::))

 

Lieben Gruß, Marco! :s17

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Hallo Marco,

ich kenn das schon, was du beschreibst. Ich muss mich z.B. hier bei "Textkritiken" immer zwingen, nie und nimmer so zu schreiben, wie ich das als Kritikerin gemacht habe. Was ich damit sagen will: Man lernt mit der Zeit und der Routine, einen Hebel umzuschalten. Ich konzentriere mich dann ganz bewusst darauf: Du bist ein normaler Mensch und du schreibst das einem normalen Menschen, nicht für Zeitung XY. Ich gebe zu, dass ist nicht einfach und es gibt Grenzen.

 

Was beim Umschalten hilft: du brauchst Gleichgesinnte im Leben, Menschen, die genauso "ticken"... und mit denen musst du dich zwischendurch abreagieren. Und es stimmt schon... das was man noch genießen kann, wird weniger.

Ich wünsche mir manchmal, klein, dumm, unbedarft und naiv zu sein... :s06

Schöne Grüße,

Petra

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Hallo Marco,

 

mein Studium liegt nun schon eine Weile zurück. Ich habe in einem meiner ersten Semester mal ein Seminar besucht, wo wir pro Woche ein mittelalterliches Epos lesen mußten (zusätzlich zu den anderen Lehrveranstaltungen, ein solches Werk alleine ist noch nicht viel), und auch für mein Rigorosum mußte ich lesen wie eine Wilde. Teilweise war ich schon ziemlich bedient, vor allem, weil man wirklich nur noch Seiten abarbeitet, man muß ja ein bestimmtes Pensum bewältigen.

 

Aber das Interesse daran kommt wieder. Du wirst, wie Petra schon sagt, nur wählerischer. Ich arbeite mich sicher heute nicht mehr durch irgendwelche Bücher, nur weil man die unbedingt gelesen haben muß.

 

Anna

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Liebe Anna,

das Pensum hat mich nicht gestört. Aber die Qualität! Oh Gott, diese Qualität! Oder besser: deren fehlen!!

Ich bin inzwischen eben dank meines Studiums nur noch 'gute' Literatur gewöhnt. Bernhard, Sebald, Hoffmann, Goethe, Schiller, wen du willst!

 

Wenn du dann einen Lassiter-Heftroman lesen musst, wo sinngemäß etwa folgendes steht:

 

"Lisa kam in den Saloon. Der starke Mann, der sich über den Bewusstlosen beugte musste Lassiter sein. Sie ging hinüber und kniete sich neben ihn. Der Mann, der sich über den Bewusstlosen beugte, war so stark, es musste Lassiter sein. Sie fragte ihn, was mit dem Schurken geschehen war..."

 

dann biegen sich mir die Zehennägel hoch...

(Und es stand dort in etwa so!!!! Mindestens ein so grober Fehler pro Seite! :s10)

 

dann wird das eine echte Qual!!!! :s07

 

Das meinte ich. Für gewisse Literatur bin ich inzwischen einfach durch und durch verdorben! Natürlich ist das Beispiel jetzt extrem, aber auch manche schlechten Bücher kann ich einfach nicht mehr genießen. *sniff*

 

Verdorbene Grüße,

Marco!

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Hier kommt die Buchhändlersicht  :)

Mit den Vorschaupaketen kommen die ersten Leseexemplare. Wir halten es so, dass jeder sich heraussuchen darf, was er/sie gerne lesen möchte. Jeder sollte bei der Rückgabe des Buches einen kurzen Kommentar zum Inhalt im Buch hinterlassen. So kann man sich schon mal eine Meinung bilden. Meine Freundin und ich machen den Einkauf gemeinsam und kaufen sehr viel aus dem Buch heraus ein. Nach einigen Jahre kann man sagen, wir haben da wohl ein Händchen für. Wenn die Vertreter dann ins Haus kommen, bestellen wir weitere Leseexemplare und zwar fast nur von den Büchern, die uns interessieren.

 

Diese Bücher werden dann auch sehr gerne von uns gelesen und anschließend dementsprechend verkauft. Wir lesen also sehr viel und immer noch sehr gerne.

 

Vorableseexemplare sind oft noch nicht korrigiert. Mittlerweile stört mich das überhaupt nicht mehr. Wenn ich erst einmal ins Buch vertieft bin, kann ich über Fehler sehr gut hinweglesen und die Bücher trotz Fehler genießen.

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Für gewisse Literatur bin ich inzwischen einfach durch und durch verdorben! Natürlich ist das Beispiel jetzt extrem, aber auch manche schlechten Bücher kann ich einfach nicht mehr genießen.

 

Nun ja, aber ich glaube nicht, dass das zwangsläufig mit Studium oder Beruf zu tun hat. Auch ein "nicht-profesioneller" Leser genießt ja nicht jede Lektüre gleichermaßen. Ich wusste auch schon vor dem Studium, dass der Heftroman - äh, nicht mein Genre ist ... Inzwischen weiß ich sehr viel mehr darüber, aber an meiner Einstellung hat sich nichts geändert. Ich brauchte auch kein Studium, um gewisse anspruchsvollere Literatur gut zu finden. Und Thomas Mann habe ich vor dem Studium verabscheut und danach ebenso ;D

 

Also, ich denke, man muss nicht für jede Besonderheit des eigenen Literaturgeschmacks Studium oder Beruf verantwortlich machen. Und auch nicht jede Veränderung des Literaturgeschmacks ist auf "berufliche Erfahrung" zurückzuführen - es ist auch normal, dass man bestimmte Dinge einfach irgendwann über ist, auch wenn sie einem am Anfang noch nicht so sehr gestört haben. Das ergeht vermutlich auch Leuten so, die nicht Buchhändler, Lektoren oder Germanisten sind.

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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