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(Peter D. Lancester)

Lycidas

Empfohlene Beiträge

(Peter_Dobrovka)

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Die Eckdaten finden sich hier:

(Link ungültig)

 

Lauter begeisterte Rezensionen, das spiegelt sich auch in diversen Foren wieder, in denen das Buch diskutiert wurde.

 

Mir hat es nicht gefallen. Ich habe das 800-Seiten-Ding nach dem ersten abgeschlossenen Unterabschnitt (ca. 200 Seiten) weggelegt, um ein anderes Buch zu lesen und werde es wohl nicht mehr zur Hand nehmen.

 

Immerhin kann ich recht exakt begründen, warum es mir nicht gefiel, und ich kann auch verstehen, warum das Buch von anderen gemocht wird. Ich bin fast ein wenig traurig, mich da nicht einreihen zu können. Aber der Reihe nach:

 

Die 12jährige Emily lebt unter reichlich unmenschlichen Verhältnissen im Waisenhaus des Reverend Dombey in London, bis sie eines Tages von einer Ratte angesprochen wird, daß sie auf ein anderes Mädchen achtgeben solle, und dieses Mädchen dann wenig später von Larry dem Lykanthropen (Werwolf) entführt wird. Emily flieht aus dem Waisenhaus und kommt unter die Fittiche von Elfen, die ihr eine wundersame zweite Stadt unterhalb Londons zeigen: die "uralte Metropole". Sie erfährt, daß sie ein uneheliches Kind einer Elfenfürstin und eines Menschen ist, und daher als Halbelf einige spezielle übersinnliche Fähigkeiten besitzt. Außerdem ist sie wegen der Fürstensache Gegenstand undurchsichtiger politischer Intrigen.

 

Soweit erst mal zum Inhalt, ich will ja nicht spoilern.

 

Grundsätzlich finde ich die Idee von geheimen Welten, die parallel zu der unsrigen existieren, sehr reizvoll, und ich bin auch ein London-Fan. Und wenn Geschichten eine gewisse inhärente Tragik besitzen, bin ich sowieso hin und weg. Daher fand ich den Anfang von Lycidas einfach nur wunderbar. Ein Waisenhaus mit mieser Führung und Kinderleiharbeit, ein armes aber tapferes Mädchen, das durch einen vermeidbaren Unfall einäugig gemacht wurde, ein schreckliches Geheimnis in Form der Lady Snowwhitepink (ich vermutete Kindesmißbrauch). Ja, dachte ich mir, das ist es.

Ein erster kleiner Kulturschock war für mich, daß die Geschichte in der Jetztzeit spielt. Nicht nur, daß für mich das „zauberhafte London“ untrennbar mit dem 19. Jahrhundert verbunden ist, das ganze Setting mit heruntergekommenem Waisenhaus, Rohrstock, Kinderarbeit etc. habe ich intuitiv mit dieser Epoche verbunden und stutzte regelrecht, als erstmals Rolltreppen, U-Bahn und McDonald’s auftauchten.

Meine weitere Entzauberung folgte dann schleichend, ich kann es an keiner konkreten Szene festmachen, aber ich spürte nach einer Weile einen gewissen „Fantasy-Overload“. Und da muß ich gestehen, das ist mein persönlicher Fehler, hier zu wenig tolerant zu sein. Ich bin ein zu strikter Verfechter von Logik, Plausibilität und innerer Stringenz und mag es, wenn schon nach kurzer Zeit die Regeln einer Welt feststehen und sich daran gehalten wird.

 

Ich habe bereits ein Problem damit, wenn Ratten sprechen können, intelligent sind und alt werden wie Menschen, weil das alles nun einmal nicht so ist. Genauer gesagt, habe ich ein Problem damit, wenn das wie selbstverständlich rüberkommt. Lycidas spielt in unserer Realität und muß sich imho auch den Regeln unserer Realität stellen. Für mich müssen das dann zumindest mutierte Ratten oder so was sein, sonst paßt es einfach nicht.

 

Die uralte Metropole mit ihren vielen Zugängen in der U-Bahn: Ich soll wirklich glauben, daß die Engländer das noch nicht bemerkt haben, was sie da für ein Ding unter ihrer Hauptstadt haben?

 

Ex-Engel Lucifer braucht zur Unsterblichkeit so einen komischen Baum?

 

Die Ich-Form der Erzählung halte ich für einen dramaturgischen Mißgriff. Wenn es denn wenigstens Emily wäre, die als Icherzählerin auftreten würde, aber es ist eine Nebenfigur, die überdies kein besonderer Sympathieträger ist und auch in ganz vielen Szenen gar nicht auftritt, und daher schlußendlich ja doch aus allen möglichen Perspektiven erzählt wird. Außerdem macht der Autor so genau das, was ich in einem anderen Thread mal als unerträglich anprangerte: Die Figur weiß mehr als der Leser.

(Link ungültig)

 

Neben diesen Grundsätzlichkeiten stieß ich mich dann ständig an Kleinigkeiten, die meinen suspension of disbelief torpedierten. Hier eine Auswahl:

 

Die Straßenstruktur von London ist also auch auf die Unterwelt abgebildet. Aber warum eigentlich?

 

Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand in diesem verdreckten lichtlosen Fabelwesen-Ghetto leben will. Wieso findet kein Massenexodus statt?

 

Wieso werden die Bewacher der Zugänge notwendigerweise blind?

 

Wieso steht an dieser einen Brücke so ein Steinwächter, der die Passanten in englischer Lyrik prüft? Woher weiß er überhaupt von der Lyrik der Oberwelt, und welche Lyriker sind bei ihm gespeichert und welche nicht? Und wenn er jedesmal, wenn jemand die Prüfung nicht besteht, um sich haut und die Brücke beschädigt, wieso steht sie dann noch? Wieso hat noch kein Trupp von Pionieren diesen lästigen Steinkerl weggesprengt?

 

Ich denke nicht, daß zwei Mädchen nach einem fatalen Sturz in die Tiefe und einem langen Bad in einem eisigen Fluß mit einer Unterkühlung davonkommen.

 

Warum verwenden die Kopfgeldjäger Mr Fox und Mr Wolf keine modernen Schußwaffen?

 

Wieso ist es in der Hölle eisig kalt, wenn sie im Erdinneren liegt?

 

Die Hölle besitzt einen Zugang von London und vom Vatikan aus, schön. Einer von beiden dürfte dann jedoch einen Anfahrtsweg von einigen tausend Kilometern haben. Da mal so ein wenig zu Fuß herumzuspazieren … hm!

 

Warum ist da diese „Göttin“ angekettet, um dauernd von Krabben gefressen zu werden und sich zu regenerieren? Und wenn sie sich regeneriert hat, wer kettet sie wieder an?

 

Warum schrumpeln einem die Augen weg, wenn er seine Seele verliert?

 

Normale Steine haben Heilkräfte.

 

Bilder, die lebendig werden und Monster ausspucken.

 

Was haben Engel unter der Erde zu suchen?

 

Wieso ist plötzlich Emilys Fähigkeit, Dinge zu sehen, in ihrem Glasauge gespeichert?

 

Was ich auch schade fand, war daß der Reverend und die Lady nicht einfach nur miese aber ahnungslose Menschen sein durften.

 

Die Intrigiererei brachte mich durcheinander, und ich konnte nicht so recht mit den Charakteren mitfiebern. Es ist mir bis zuletzt nicht ganz klar geworden, wer nun eigentlich was wollte.

 

Ein Schema, daß ich so beschreiben würde: Der Prot. stolpert am laufenden Band in alle möglichen Wunderdinge. Manche mögen das toll und phantasievoll finden, mich langweilt es. Ich brauche eine Handlung, die einem begreifbaren Ziel zustrebt, und das auf den Gleisen nachvollziehbarer Regeln. In dem Moment, in dem ich merke, daß die Welt des Buches so aufgebaut ist, daß zu jedem beliebigen Zeitpunkt Beliebiges passieren kann, bin ich draußen.

 

Das Aufgezählte waren alles Elemente, die mir den Lesespaß zunehmend eintrübten. Zuviel des Unglaublichen auf einmal. Zu märchenhaft. Man merkt, daß das ursprünglich mal ein Kinderbuch werden sollte, und als solches hätte es vielleicht meine uneingeschränkte Begeisterung bekommen. So jedoch … mochte ich es nicht.

 

Das Interessante: Die meisten, mit denen ich das bisher diskutierte, sehen diese Schwachstellen genauso wie ich - aber sie stören sich nicht im geringsten daran.

 

Nun ja, falls jemand dieses Buch gelesen hat, kann er ja was dazu sagen. Vielleicht habe ich jetzt auch ungewollt Werbung dafür gemacht, hehe.

 

Peter

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Mir hat es nicht gefallen.

Das habe ich mir schon gedacht. :D

 

Ja, du machst Werbung dafür, es gibt nämlich keine schlechte Publicity. ;)

 

Fröhliche Grüße von einer, die Lycidas und Lilith dank ihrer restlos verbildeten Ader überaus zu schätzen weiß

Iris :s17

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