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ThomasM

Satanstango (László Krasznahorkai)

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Hallo,

 

ich habe gestern einen Roman beendet, der mich sehr beeindruckt, aber auch sehr gefordert hat: "Satanstango", der Debutroman des ungarischen Autors László Krasznahorkai aus dem Jahr 1985. Und auch wenn der Roman nun fast dreißig Jahre auf dem Buckel hat, so ist er doch zeitlos.

 

Der Inhalt ist knapp umrissen: In der ungarischen Einöde liegt eine Siedlung im Niedergang. Der Doktor heilt niemanden mehr, weil er dem Suff verfallen ist, der Schuldirektor hat keine Schule mehr, die noch im Dorf verbliebenen Bürger sind misstrauisch, versoffen, lügen und umschleichen sich wie Raubtiere. Der Dorfwirt halluziniert von gewaltigen Spinnennetz, alles schimmelt oder modert vor sich hin. Ein kleines Mädchen misshandelt und tötet eine Katze und erkennt dabei, dass es keine Siege gibt, sondern nur Niederlagen, worauf sie sich selbst mit Rattengift das Leben nimmt. Töchter werden zu Huren, deren Mutter nimmt ihnen anschließend das Geld ab. Es ist eine kleine, kaputte Welt, die um sich selbst kreist. Und dann kommt ein lange verschollen geglaubter Dorfbewohner zurück, Irimiás, der verspricht, das Dorf in eine neue, glanzvolle Zukunft zu führen, dabei aber sein eigenes Spiel spielt.

 

So trist auch der Inhalt ist, so gewaltig ist Krasznahorkais Sprache. Er zieht den Leser mit Satzungetümen, die manchmal über eine ganze Seite gehen, in die dunklen zwischenmenschlichen Abgründe hinab, er schreibt bildhaft, dabei aber auch sehr distanziert. Die Figuren bleiben austauschbar, eine konturlose Masse der Niedertracht und des Misstrauens. Dabei schimmert aber immer wieder ein sarkastischer Humor durch, der einem das Lachen im Halse stecken bleiben lässt. Die ganze Hoffnungslosigkeit des Buchs kumuliert sich im vorletzten Kapitel, das gleichzeitig das Witzigste Kapitel ist, als zwei Magistratsschreiber versuchen, den offiziellen Bericht ihres Spitzels über die Dorfbewohner zu glätten und zunächst ratlos, später immer hilfloser nach beamtensprachlichen Alternativen zu den schillerndsten, ordinärsten Hass- und Schimpftiraden zu suchen. Das läuft dann darauf hinaus, dass zB eine "verdreckte Hurensau" zu einer "der Hygiene nicht zugeneigten Dame zweifelhaften Rufes" und dergleichen geglättet wird. Einerseits ganz großes Kino, und ich hatte die schönsten Lachattacken in der U-Bahn beim Lesen, andererseits wird gerade hier auch so wunderbar ersichtlich, dass der Humor in Krasznahorkais Roman nicht aufmunternd, nicht erheiternd ist, sondern böse und zynisch wie die Menschen selbst, die er beschreibt.

 

Interessant ist auch die Struktur des Buchs. Das Ende verweist auf den Anfang, und so ist man - wie es auch die Dorfbewohner selbst sind - in einem Teufelskreis gefangen, aus dem es kein Entkommen gibt.

 

Obwohl das Buch nur knapp über 300 Seiten hat, hat es mich mehr als zwei Wochen lang beschäftigt. Es ist kein Roman zum Querlesen, jedes einzelne Wort erfordert Konzentration. Ja, es ist anstrengend, aber auch unglaublich lohnend. Krasznahorkai zeigt eine Welt der Vergessenen, der Kapitalismus-Verlierer, die im ständig gleichen Trott um das nackte Überleben kämpfen und nach den winzigsten Strohhälmen gieren. Die Menschlichkeit bleibt da auf der Strecke. Und das ist eine universelle Botschaft, die auch heute noch gültig hat. So verstehe ich "Satanstango" als Mahnmal, immer auf der Hut zu sein vor dem schleichenden Verfall, der sich schneller der Seele bemächtigen kann, als man wahrnehmen kann.

 

Übrigens wurde "Satanstango" auch vom ungarischen Regisseur Bela Tarr verfilmt, als über 7stündiges Epos des Niedergangs. Ich habe mir den Film noch nicht angesehen, werde das aber sicherlich irgendwann tun. Ein angenehmer Filmabend wird das mit Sicherheit nicht werden. Aber wohl ein lohnender.

 

Hier der Link zum Buch:

 

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Viele Grüße

 

Thomas

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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Ich selbst bin auch erst auf Krasznahorkai gestoßen, weil ihn der Standard (österreichische Tageszeitung) vor einigen Monaten mal in einem Artikel besprochen hat unter der sinngemäßen Headline "Der größte lebende Autor, den Sie nicht kennen". So bin ich auf ihn aufmerksam geworden.

 

Viele Grüße

 

Thomas

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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