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ChristianeL

Auf dem Weg zum elektronischen Lektorat

Empfohlene Beiträge

In den USA gibt es inzwischen ein Tool, das Texte nach den Kategorien emotional, social und writing style analysiert und darauf aufbauend Verbesserungsvorschläge erstellt:

goodereader.com/blog/e-book-news/indie-authors-will-soon-be-using-robots-to-edit-their-ebooks

Für mich klingt es wie eine Mischung aus Thesaurus und der Stil-Analyse, die Papyrus bietet, aber ausprobieren werde ich es wohl.

Liebe Grüße

Christiane

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Danke für den Hinweis, Christiane.

 

Ich bin bei diesem Ansatz von IBM Watson eher skeptisch. Das Projekt wird für meinen Geschmack zu bombastisch in Szene gesetzt. Dadurch weckt es viel zu hohe Erwartungen. Letztlich ist es extrem beschränkt und als Lektorierungshilfe höchst fragwürdig.

 

Die Anwendung beschränkt sich ganz eng auf die Ebene der Wortbedeutung. Dabei wurden in einer lexikalischen Datenbank die Einträge, die vermutlich zur Zeit noch sehr begrenzt sind, mit drei Gruppen von Bedeutungsmerkmalen versehen.

 

Diese Aufgabe kann eine relationale Datenbank leisten, und das scheint das ganze Ausmaß der angeblichen "künstlichen Intelligenz" zu sein. In der Werbung spricht man aber großspurig von "Roboteranalyse".

 

Zur wissenschaftlichen Basis wird dort gesagt: "The Tone Analyzer service is based on the theory of psycholinguistics."

 

Tut mir leid, aber DIE Theorie der Psycholinguistik gibt es nicht. Da muss man schon sagen welche – und damit auch im Detail arbeiten. Das Gebiet der Psycholinguistik beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welche mentalen Prozesse in Millisekunden beim Sprechen, Schreiben, Lesen und Hörverstehen ablaufen. Natürlich gibt es da eine große Bandbreite von empirischen und theoretischen Ansätzen.

 

Wenn man die Erklärungen weiter liest und die Literaturangaben anschaut, stellt sich aber heraus, dass es gar nicht um Psycholinguistik geht, sondern um eine recht einfache lexikalische Analyse von Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen. Alles in der Hoffnung, dass der Text dann besser auf die Erwartungen der Leser eingestellt wird, wohl bemerkt: ausschließlich auf der Wortebene. Das ist deutlich weniger als die versprochene automatische Analyse des "emotional, social und writing style". Zum Stil gehören ja auch pragmatische, grammatische, diskursive und andere Analyseebenen, und um die zu analysieren, muss man den Text schon verstehen. Dazu gehört auch die Innensicht der Spezies Mensch als sozialem Wesen. – Also eine ordentliche Herausforderung für Mr. oder Ms. Robot.

 

Bei der Entwicklung des vorgestellten Systems steckt die Hauptarbeit in der Annotierung des Lexikons. Alle Einträge, und das müssten sicher um die 50.000 sein, um das System auf literarische Texte los zu lassen, müssen danach markiert werden, ob das entsprechende Wort „anger, fear, anticipation, surprise, joy, sadness, trust, and disgust“ usw. ausdrücken. Das müsste zu einem großen Teil per Hand gemacht werden.

 

Abgesehen von der Machbarkeit für kreative Texte muss man sich fragen, ob diese Aspekte der Wortsemantik für alle Leser in allen englisch-sprachigen Regionen der Welt gleich sind. Sie sind es nicht. Viele dieser Wahrnehmungen sind kulturspezifisch, und zwar nicht nur abhängig von der Region, sondern auch abhängig von Faktoren wie Bildung und sozialen Normen. Daher werden ja dieselben Texte von verschiedenen Lesern in den Untertönen unterschiedlich aufgenommen.

 

Aus diesen Gründen halte ich die Nützlichkeit dieses Ansatzes für sehr begrenzt. Klar, ein Schreibroboter ist illusorisch. Der müsste die ganze Welt irgendwie abbilden – und daran ist noch lange nicht zu denken, auch wenn viele in den USA von der „singularity“ (alb)träumen:

https://en.wikipedia.org/wiki/Technological_singularity

 

Nun hat sich IBM Watson zu einer sehr eng umgrenzten Teillösung entschieden, preist diese aber an, als wäre man schon auf dem Weg zur Roboterisierung des Lektorats.

 

Nachdenkliche Grüße,

 

Manfred 

Bearbeitet von Manfred
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Auf mich wirkt das wie ein gutes Hilfsmittel für ansonsten Hilflose, für Menschen, die mit Sprache umgehen müssen, ohne dafür sensibilisiert zu sein. Ähnlich wie die Rechtschreibprüfung in der Textverarbeitung – die ist zwar jedem Lektorat unterlegen, aber immer noch besser als gar nichts. In diesem Bereich ein sinnvolles Werkzeug. Mehr sollte man aber nicht hineinprojizieren. 

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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