Sabine,
du hattest nach Krimis gefragt, in denen die Prota die Täterin ist:
„Klassentreffen“ von Simone van der Vlugt (war ein Topseller), hier ist die Ich-Erzählerin sich ihrer Tat völlig unbewusst, ohne allerdings krank zu sein,
„Ich bin unschuldig“, von Sabine Durrant
und „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“, von Joy Fielding sind solche Bücher, wobei ich vom letzten Roman sehr fasziniert war (In „Ich bin unschuldig“ fand ich die Prota eher unsympathisch, was im Lauf der Geschichte noch zugenommen hat, und irgendwann kommen auch erste Zweifel beim Leser auf).
„Aklibi“ von Agatha Christie fand ich dagegen genial – habe es mehrfach gelesen - , denn der Täter ist ein sehr beliebter Arzt, und das Geniale daran ist, dass er in Ich-Form sehr offen und ehrlich und so dicht an der Tat ist wie irgend möglich, nur, der Leser interpretiert einfach alles ganz anders, ohne groß irgendwelche Zweifel zu haben.
Einer der genialsten Schlüsselsätze ist folgender (der Täter betritt kurze Zeit nach der Tat wieder den Tatort) und schreibt: „Ich tat das Wenige, was noch zu tun war“. Leser denkt – der Mann ist ja Arzt –, er drückt der Leiche vielleicht die Augen zu, oder deckt sie ab, oder Ähnliches. Der Ich-Erzähler meint damit aber, dass er ein Beweismittel verschwinden lässt … das heißt, er ist so ehrlich, so nah an der Wahrheit, wie es überhaupt nur geht. Bis fast zum Schluss kommt keinerlei Verdacht auf.
(Das ist das „Gemeine“ an Agatha Christie: sie hat einem fast jeden Plot schon vor der Nase weggeschrieben.)
Ich hatte eine ähnliche Geschichte selbst schon einmal bis ins Detail geplant, da war es aber so, dass meine Prota ihre Tat, die 20 Jahre zurücklag, völlig abgespalten hat und später an die Aufklärung ging, als klärte sie ein völlig fremdes Verbrechen auf. Im Grunde finde ich solche psychologischen Gründe wesentlich faszinierender als eine Erkrankung wie Schizophrenie oder eine multiple Persönlichkeit – das ist für mich so ähnlich wie ein Täter, der volltrunken einen Mord oder Totschlag begeht und wo der Alkoholkonsum dann als mildernder Umstand gilt.
In der Darstellung einer eiskalt planenden Täterin oder einer, deren Verstand, um sie zu schützen, ihre Tat, ähnlich wie ein Trauma, ganz und gar von ihr abspaltet, zeigt sich so richtig die Kunst und die Herausforderung des Schreibens, finde ich. Und genau deshalb finde ich Bücher, in denen das gelungen ist, so faszinierend – dazu gehört natürlich, den Leser, so lange es irgend geht, auf die falsche Fährte zu führen. Und alle Hinweise, die man sät – und die natürlich da sein müssen, sonst löst man den Vertrag mit dem Leser – darf er entweder nicht beachten oder muss sie falsch verstehen/interpretieren. Und das genau, denke ich, ist die Kunst und die Herausforderung – aber eben auch für den Autor ungeheuer spannend.
Ich drücke dir die Daumen für deinen Roman!
Catherine
Bearbeitet von CatherineK, 01.03.2016 - 18:37,