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(PeterN)

Selbs Justiz - Bernhard Schlink/Walter Popp

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Es ist ein Krimi und es ist eine Bestandsaufnahme des Deutschlands der 80er Jahre und genau das hat für mich den Reiz des Buches ausgemacht.

 

Ein alternder Privatdedektiv, 68, kämpft mit dem Älterwerden, seiner Vergangenheit, dem Reiz des anderen Geschlechts und mit sich selbst. In drei Kriminalfällen, die alle miteinander in Verbindung stehen, kommt er einem Geheimnis auf die Spur, das ihn auch in seine Zeit in Nazideutschland zurückführen.

 

Schlink erzählt nicht wirklich zielgerichtet und handlungsorientiert, er gönnt seinem Helden ein Privatleben, aber verfällt dabei auch nicht ins Schwafeln. Er hat ein Sammelsurium an -teilweise leicht klischeehaften- Personen aufzubieten, darunter einen alten Schachmeister, einen käuzchenbesessenen Germanisten, einen promiskuitiven Arzt usw.- und lässt seinen Detektiv Selb mit ihnen interagieren.

Die Kriminalfälle an sich sind gerade zu Beginn eher unspektakulär, Industriesabotage, aber die Geschichte verdichtet und verstrickt sich immer mehr bis zu einem überraschenden Finale. Aber da liegt vielleicht auch die Schwäche des Romans, denn als richtig spannend habe ich die Fälle nie empfunden. Es ist mehr das Porträt eines Mannes als eines Falles und es ist ein hervorragendes Porträt eines vielschichtigen, widersprüchlichen, glaubhaften Mannes, der mit seinen ganz eigenen Dämonen zu kämpfen hat.

 

Was für mich den eigentlichen Reiz des Romans ausgemacht hat, war die Sicht auf das Deutschland der 80er Jahre. Mc Donalds in den Anfangszeiten, Computer sind noch weitesgehend Zukunftsmusik, die Nazizeit spielt noch sehr stark in die Gegenwart mit hinein, der Zeitgeist ist allgegenwärtig. Für mich war es ein sehr unterhaltender Blick in die nahe Vergangenheit und es zeigt auch, wie sehr sich das Deutschland dieser Tage von unserem unterscheidet.

 

An manchen Stellen übertreibt es Schlink mit der Charakterisierung der Nebenfiguren, gerade mit denen, die nur ein paar Szenen haben, und schießt über das Ziel heraus, aber gerade das macht das Buch gerade an diesen Stellen auch sehr charmant und (gewollt?) komisch, mir gehen die Versuche, den Nebenfiguren charakteristische Dialogstimmen zu geben, an manchen Stellen zu weit.

 

Selbs Justiz ist der erste von drei Romanen, die den Privatdedektiven Gerhard Selb, zum Helden haben.

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Hallo Peter!

 

Hach, wie schön, dass du mir die Arbeit abnimmst, ich wollte die Selb reihe schon lange mal vorgestellt haben, finde die Bücher nämlich ganz wundervoll.

 

Nicht nur mag ich die Buchtitel, Selbs Justiz, Selbs Betrug und Selbs Mord, die immer herrlich in die geschichte mit reinspielen, sondern tatsächlich schaffen es die Bücher ganz hervorragend, den Ruhrpottcharme und die Befindlichekiten der jeweiligen thematik (Von der Nazizeit, den terror der 70er und die Wende-Probleme) in mir aufleben zu lassen.

Die Bücher erinnern in ihrer Schlichtheit, und ihrer Detailliebe in Kleinigkeiten (Man erfährt eigentlich jede einzelne Mahlzeit, die Gerhard Selb zu sich nimmt) oft an Mankell.

 

Und gerade Selbs Justiz wartet mit einem tollen Ende auf, eigentlich eines der besten, die ich in der jungen deutschen Literatur kennengelernt habe. Das Buch steckt voller schöner Wendungen.

 

Da Bernhard Schlink ja vor allem für den Vorleser bekannt ist, den ich persönlich gar nicht so toll fand, ist es eine tolle Idee, die Selb Bücher hier mal vorzustellen, die ich immer wieder gerne verschenke, weil ich sie großartig finde.

 

Auch Schlinks Buch 'Die gordische Schleife' möchte ich hier nochmal kurz vorstellen, dass zwar total unrealistisch ist, aber eine herrliche Geschichte zwischen Deutschland, Frankreich und den USA erzählt, und von einem technischen Übersetzer handelt, der in seltsame Spionagegeschichten verwickelt wird.

 

Die Bücher von Schlink zu lesen, lohnt sich eigentlich immer. (Bis auf die "Liebesfluchten", die stark schwächeln..)

 

Lieben Gruß,

Marco!

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Oh, Ihr beide sprecht mir aus dem Herzen,

 

auch ich mag den alten Selb und seinen Kumpanen, den Arzt mit der großen Libido. Kommt noch dazu, dass ich mal zwei Ecken von seinem (fiktiven) Büro in Mannheim gewohnt habe.

 

Ich muss noch einen drauf geben - weil ich zur Arbeit einfach 120 Kilometer fahren muss, habe ich Selbsjustiz auch in der Hörfassung, gelesen von Hans Korte, gehört - und diese satte Stimme war noch mal ein Sahnehäubchen.

 

Gute intelligente Unterhaltung.

 

LG

 

Kathrin

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Selbsjustiz auch in der Hörfassung' date=' gelesen von Hans Korte, gehört - und diese satte Stimme war noch mal ein Sahnehäubchen.[/quote']

Oh ja, denn Schlinks Stimme ist eher gewöhnungsbedürftig. Ich habe Liebesfluchten als Hörbuch, gelesen vom Meister höchstselbst. Ich habe es aber nicht über CD 1 hinaus geschafft, mir das Genöhle anzuhören. Nicht nur, dass er klingt wie ein alter Mann und sehr monoton liest, die Geschichten selber schwächeln auch ziemlich.

 

So, wo wir hier schon mal bei Buchkritiken sind:

Bernhard Schlink: Liebesfluchten

Langsam, langatmig, langweilig. Keine explodierenden Raumschiffe, stattdessen weltfremde, drömelige Menschen, die zu öden Tagträumen neigen ("Die Frau an der Tankstelle"). Da werden uns Konflikte nahegebracht, die eigentlich keine sind, Gedanken formuliert, die des Denkens nicht wert sind, Charaktere entworfen, die keinen Lebenszweck haben und nicht einmal unserer Unterhaltung diesen, und Gefühle formuliert, die mir absolut fremd sind.

 

Dieses Buch (zumindest die Audioversion) wirkt so blutleer wie es der Autor offenbar ist.

 

Weia, ganz vergessen, mein Senf zu Detektiv Selb. Ich habe nur Selbs Mord gelesen und fand es überhaupt nicht gut. Als Krimi hat es mich überhaupt ncht aus den Socken gehauen, dafür ist Schlink zu sehr Grübler, und sein Selb auch. Es ist zwar schön geschrieben, hat interessante Figuren, einen passablen Plot und die Atmo ist stimmig. Aber der Funke, das Mitreissende, das was ich von einem Krimi erwarte, das kommt viel zu kurz. Um so ein Buch für mich verdaulicher zu gestalten, müsste Schlink sich einige Treppenstufen seines Elfenbeinturmes weiter hinab begeben. Ich bin als Leser gerne bereit, einige Stockwerke hinauf ihm entgegenzukommen.

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