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Ulrike

Allwissender Ich-Erzähler

Empfohlene Beiträge

Mariana Leky hat in ihrem Roman "Was man von hier aus sehen kann" eine Erzählerin, die über jedes Detail ihrer Figuren und deren Geschichten informiert ist, auch wenn nicht offenbart wird, woher sie dieses Wissen hat. In diesem Roman stört diese Perspektive nicht, die in anderen Texten als ein grober handwerklicher Fehler gewertet werden würde. Im Gegenteil - sie unterstreicht die magische Atmosphäre der Geschichte.

Interessanterweise aber wurde diese ungewöhnliche Perspektive von der Literaturkritik nicht mal diskutiert, jedenfalls nicht in den Besprechungen, die ich gesichtet habe.

 

Ist diese Perspektive inzwischen gang und gäbe?

 

Und kennt jemand von euch Beispiele für einen allwissenden Ich-Erzähler?

Bearbeitet von Ulrike
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Ich denke, dass es sich um eine ungewöhnliche Ausnahme handelt. Für einen handwerklichen Fehler halte ich das nicht. Früher war ein allwissender Autor nicht so ungewöhnlich. Die Lesegewohnheiten haben sich verändert. Und wenn es funktioniert ... Hut ab.

 

Wolf

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Nein, das ist bei Leky sicher kein Fehler, Wolf! Da hatte ich mich wohl falsch ausgedrückt. Das ist wohl durchdacht, da bin ich ganz sicher. Und es funktioniert ja hervorragend! So gut, dass es nicht mal zum Thema gemacht wird. Ich bin genau wie du voller Respekt.

 

Früher war der allwissende Erzähler üblich, aber meines Wissens nicht aus der Ich-Perspektive.

 

Ich frage deshalb, ob ihr noch andere Beispiele kennt. Mich würde die Wirkung in anderen Texten interessieren.

 

Ulrike

Bearbeitet von Ulrike
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"Die Legende vom Glück ohne Ende" (Plenzdorf). Der allwissende Erzähler existiert hier als Erzähler an sich und als handelnde Person in der Erzählung. Immer wenn der allwissende Erzähler über sich selbst als handelnde Person spricht, verwendet Plenzdorf nicht "Ich" sondern "Meine Person". Das schafft eine große Distanz und macht für den allwissenden Erzähler und die handelnde Person in Einem glaubwürdig. Im Verlauf der Handlung stellt sich heraus, dass es eine allwissende Erzählerin ist.

Bearbeitet von Dietmar
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Ich kenne den konkreten Fall jetzt nicht, vielleicht nimmt Mariana Lekys Erzählerin noch eine in irgendeiner Weise darüber hinaus ungewöhnliche Erzählperspektive oder -haltung ein, aber ein Erzähler bzw. eine Erzählerin ist ja grundsätzlich erst einmal ein Ich, selbst dann, wenn er oder sie sich komplett aus dem Erzählten heraushält.

Er/sie kann von anderen erzählen, aber auch selbst handelnde Figur sein. Verhält das Ich sich dabei personal, tritt es praktisch nur als handelndes Ich in Erscheinung, verhält sich so, als würde es nur in dem Ich stecken, das gerade die erzählte Handlung durchlebt.

Verhält es sich auktorial, tritt es auch als erzählendes Ich in Erscheinung, das das Erzählte zu einem späteren Zeitpunkt wiedergibt und nun natürlich mit all dem Wissen über die Ereignisse und die anderen Figuren anreichern kann, das es inzwischen angesammelt hat.

 

Bis dahin wäre das durchaus eine nicht unübliche Praxis. Interessant fände ich jetzt, ob Mariana Lekys Erzählerin sich darüber hinaus noch anders verhält und wenn ja, wie.

 

Twitter: @autorlekt

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Diese Praxis kenne ich, Philipp. Lekys Erzählerin geht aber weit über das gewohnte erzählende Ich hinaus. Sie beschreibt geheime Gedanken, Erinnerungen, Handlungen und Motive fast all ihrer Figuren, und zwar auch in intimen Momenten und in Details (und gibt dabei an keiner Stelle zu erkennen, wie und ob sie später von diesen heimlichen Gedanken und Handlungen erfahren hat.) Das Ich tritt in diesen Passagen als Person völlig zurück und man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier ein auktorialer Erzähler übernommen hat, der die Ich-Passagen ablöst, aber dann webt sie geschickt ihr Ich in den Text: "Der Wald tat sich sehr plötzlich auf. In unserer Gegend fehlen die Übergänge." (S.91)

Bearbeitet von Ulrike
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Ich habe das Buch nicht gelesen, aber gibt es nicht mehrere hellseherisch begabte Figuren? Ich würde schätzen, so erklärt sich auch die Allwissenheit der Erzählerin – oder passt das gar nicht?

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Doch, Mascha, das passt! Ich verstehe auch sehr gut - auf mehreren Ebenen-,  warum die Perspektive so gewählt ist. Meine Frage ist, ob ihr noch andere Bücher kennt, in denen ein auktorialer Ich-Erzähler auftaucht. Ich finde diese Art zu erzählen faszinierend.

Bearbeitet von Ulrike
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Danke, Diana. Ich habe es jetzt oben korrigiert. Erzählst du mal, wie du es findest, wenn du es gelesen hast?

 

Liebe Grüße

Ulrike

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Ich empfinde das gar nicht so ungewöhnlich, denn die Perspektive scheint eine uns sehr bekannte Erzählposition nachzuahmen, vor allem wenn sie im Präteritum erzählt wird. Du sitzt dem Erzähler gegenüber, der dir eine Geschichte erzählt und nachdem die in der Vergangenheit spielt, kann er jeder Figur Gedanken und Gefühle unterstellen. Ob die nun der Wahrheit entsprechen ist eine ander Frage. 

Das Buch muss ich mir anschauen. Man lernt ja nie aus. 

Krimis, Liebe und Mehr.

www.ilonaschmidt.com

Translations, Lektorat & Exposé Coaching

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Eine ganz alte Kiste: Melvilles "Moby Dick". Wobei es sich hier um einen Sonderfall handelt, denn der Autor schreibt mal im Stil eines Romans, dann eher Novelle, ein wenig Bühnenstück usw. Aber es beginnt ja als Ich-Erzählung ("Call me Ishmael.") Und dann erzählt der Autor von Dingen, die an Orten geschehen, an denen Ishmael gar nicht anwesend ist.

www.klippenschreiber.de

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Ha! Hätte ich mal fünf Sekunden länger drüber nachgedacht. Hier ist natürlich kein allwissender Ich-Erzähler am Werk, vielmehr würfelt Melville die Erzählweisen munter umeinander.

 

Sorry, das Beispiel "Moby Dick" passt hier nicht.

www.klippenschreiber.de

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Ich habe jetzt mal die Leseprobe gelesen und finde die Perspektive nicht ungewöhnlich, halt nicht so gebräuchlich. Sie ist, nachdem, was ich bis jetzt gelesen habe, ein Ich-Erzähler, der eine Geschichte aus seiner Perspektive erzählt und dabei den anderen Akteuren Gefühle und Gedanken zuschreibt. Ein auktorialer Erzähler ist nichts anderes, ich verstehe ihn als Figur der Story, die aus ihrer Sicht die Ereignisse nacherzählt. Das kann sie neutral und wahrhaft tun, oder dazu interpretieren und subjektiv beurteilen.

 

Wenn mir meine Erinnerung keinen Streich spielt, ist Ulfs "Bastard von Tolosa" ähnlich geschrieben, oder?

Bearbeitet von IlonaS

Krimis, Liebe und Mehr.

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Dann musst du ein wenig warten, bis ich weiterlesen konnte. 

 

So viele interessante Bücher und so wenig Zeit. 

Krimis, Liebe und Mehr.

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Ist das Buch im Präsens oder im Präteritum?

Im zweiten Fall könnte der ich-Erzähler ja später dahinter gekommen sein, was sonst woanders noch los war, was andere dachten und fühlen und dann das alles gesamt rückblickend erzählen.

Derzeit in Schreibpause... mit immer wieder Versuchen, dieses Sumpfloch zu verlassen

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Kein Problem, Ilona.

 

EIGENTLICH wollte ich Tipps für andere Texte, in denen ein allwissender Ich-Erzähler auftaucht. Ich sehe schon, gibt es selten. :-)

 

Dazu fällt mir gerade die Saga von Elena Ferrante ein. Die Autorin bedient sich natürlich einiger Tricks, um die Allwissenheit ihrer Ich-Erzählerin zu verdeutlichen... "was ich nun erzähle, wurde mir von verschiedenen Qellen zugetragen", oder sie verweist auf die gelesenen Tagebücher von Lila, usw. aber über einige - wenige - Stellen bin ich gestolpert und dachte: das kann die Erzählerin nun wirklich nicht wissen. Z.B. Stellen, in denen sie besagte Inhalte der Tagebücher nacherzählt. Die Tagebuchschreiberin hielt z.B. fest "XY tat dies und das". Die Ich-Erzählerin gibt diese Inhalte aber nicht nur wieder, sondern blickt in den Kopf von XY und ergänzt die Nacherzählung mit "dachte XY". Ganz ohne Relativierungen wie "vermutlich dachte XY..."

Man kann das natürlich auch als dichterische Freiheit betrachten, spielt die Autorin doch mit Parallelen zwischen ihr und der Erzählerin :-)

 

Liebe Grüsse

Bettina

" Winterschwestern" (AT)
Figuren- und Storypsychologie

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