An diesem Wochenende war ich zum ersten Mal Gast im Pirates Action-Theater in Xanten. Für die, die es noch nicht kennen (wahrscheinlich die meisten hier): Das ist ein Open-Air-Theater in einem kleinen Dorf in der Nähe von Xanten. Bereits auf der Anreise fiel auf, dass auf diversen Fahnenmasten im Dorf eine Piratenfahne flatterte. Wow!
Die Bühne und die Bänke für die Zuschauer befinden sich in einem von Bäumen umstandenen "Amphitheater", ein alter Steinbruch, wenn ich mich richtig erinnere. Eine großartige Atmosphäre! Vor dem Theater befanden sich ein paar Buden und es gab Livemusik von einer Folk-Gruppe aus den Niederlanden, und es herrschte ein Ambiente irgendwo zwischen Volksfest, Mittelaltermarkt und Piratenwelt. Hin und wieder knallten Schüsse. Dann begann die Aufführung - eine herrliche, selbstgeschriebene Komödie in der Karibik der Klischeepiraten, mit knallenden Schüssen, Explosionen, Fechteinlagen eines als Piraten und Soldaten verkleideten Fechtvereins und wahnsinnig liebevollen Gewandungen und Kulissen.
Da ich ein bisschen Ahnung von Betriebswirtschaft habe, weiß ich, dass man von den Eintrittspreisen vielleicht die Kulissen, Materialien, Feuerwehrwache, Soundtechnik und ein paar weitere Dinge bezahlen kann, aber niemals auch nur halbwegs faire Stundensätze für all die kreativen Menschen, die sich an diesem Projekt beteiligen - obwohl es trotz Regen und damit verbundenen kleinen Technikpannen sehr, sehr professionell rüberkam. Das, was all die Leute vereinte, war also ganz eindeutig die Liebe zum Geschichtenerzählen auf der Bühne, mit Bastelarbeiten, mit technischem oder logistischem Einsatz, mit ihrem Körper, ihrer Stimme und auch ihrem Drehbuch.
Und so bekam ich gestern gleich zwei Geschichten zu sehen/erleben: Einmal die Geschichte von Montegos Rache, erzählt mit spritzigen Dialogen, coolen Bühneninszenierungen, Special Effects, Explosionen und Kostümen. Und einmal die Geschichte einer Idee und eines Projektes, gemeinsam eine Geschichte zu entwickeln und in einer neuen/alten Form zu erzählen (nämlich auf einer Bühne unter freiem Himmel), die in der Lage war, eine Vielzahl von Menschen zu begeistern und jenseits kommerzieller Erwägungen für genau diese Geschichte zusammenzuarbeiten.
Was ich an dieser Aufführung so toll fand, war, dass die Barriere zwischen dem Storytelling und den Menschen, mit und für die es stattfand, so niedrig war. Ich träume von Ideen und Möglichkeiten, wie man die Magie des Geschichtenerzählens auf andere Weise ähnlich wirksam und intensiv und menschlich-nah vermitteln kann … denn Geschichten haben ganz offenbar die Macht, die Welt ein bisschen zu verändern. Zumindest so weit, dass ein ganzes Dorf die Piratenfahne aufzieht .
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Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieses Thema direkt ins Schreibhandwerk gehört, da die einzige Person, die bei meinem bisherigen Bild tatsächlich geschrieben ist, der Schauspieler des Schurken Montego war. Das, was erzählt wurde, war dagegen ein Gesamtkunstwerk vieler, vieler Menschen.
Aber was bleibt, ist meine tiefe Hochachtung vor der Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen, die hier ganz viele Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten zusammengebracht hat.
Ich frage mich daher:
Wir alle sind Geschichtenerzähler. Das heißt, theoretisch trägt jeder von uns in sich die Kraft, Visionen zu denken und emotional werden zu lassen und in eine Form von Realität zu verwandeln, die andere Menschen daran glauben lässt und hoffentlich sogar begeistert.
Kennt ihr andere Beispiele für Geschichtenerzählen in der heutigen Zeit, das nicht die klassische Form Manuskript - Manuskriptüberarbeitung - Verlag oder SP-Cover - Veröffentlichung - ggf. Autorenlesung annimmt?
Bearbeitet von Hanna Aden, 21.07.2019 - 16:52,