Inzwischen habe ich das Buch gelesen – in einer Nacht, was mir bei Doris Dörrie aber immer so geht. Zum Teil liegt es daran, dass die Bücher nicht sehr lang sind, zum größeren Teil an der Schreibe: sehr ehrlich, sehr unverschnörkelt, dennoch plastisch und irgendwie – hell. Man glaubt der Autorin/Erzählerin und man mag sie auch – also ich jedenfalls, aber bestimmt bin ich da nicht allein.
Ein "Schreibratgeber" im herkömmlichen Sinn ist das Buch nicht. Ohne die kursiv gedruckten Absätze an jedem Kapitelende wäre es eindeutig eine Autobiographie. Nicht linear erzählt, sondern entlang von Begriffen wie "Mittagessen", "Piercing", "Verliebt", "Lost and found" setzt sich mosaikartig das Bild ihres Lebens zusammen: Elternhaus, Schule, USA-Aufenthalt, Freundschaften, Liebschaften, das Kind, der Tod ihres Mannes ...
Mit dem Schreiben hat das insofern zu tun, als ihr zufolge jeder Schreibakt aus dem Erinnern kommt. Deshalb beginnen auch die Schreibaufgaben an jedem Kapitelende mit dem Imperativ, sich an eben solche Dinge zu erinnern: Mittagessen, Schulweg, Schokolade etc. und darüber zu schreiben.
Z.B. so: In dem entsprechenden Kapitel war von einer amerikanischen Freundin die Rede, die gern selbsterfundene Wörter mit Jiddisch und Spanisch mischt. "Sie sagt zu mir: Vámonos, meschuggene chick."
Die darauf folgende Schreibaufgabe:
Welche Wörter kennst du, die sonst niemand gebraucht? Wie nennst du den Matsch, den man braucht, um Sandburgen zu bauen? Bei uns hieß er Kalamatsch, die genau richtige Mischung aus Wasser und Sand, die man über Sandburgen tröpfelt.
Fällt es dir nicht ein? Fällt dir gar nichts ein? Es gibt eine Zauberformel, die immer funktioniert. Sie lautet: Ich erinnere mich. Wenn mir nichts einfällt, schreibe ich diese Zauberformel wieder und wieder: Ich erinnere mich an, ich erinnere mich an ...(1. Regel: Mach keine Pause!) Und irgendwann erinnere ich mich. Garantiert.
In ihrer Grundaussage gebe ich Doris Dörrie recht: Alles Schreiben fußt auf dem Erinnern. Hätten wir nie einen Himmel, ein Pferd, einen Musiklehrer gesehen, könnten wir nicht darüber schreiben, und auch wer Hobbits und Elben erfindet, zehrt dabei letztlich von einem privaten und einem kollektiven Erinnern. Ich weiß aber nicht, ob ihre Reihenfolge so auf alle Schreibende übertragbar ist: Hinsetzen und über Erinnerungen schreiben – und dann kommt die Geschichte. Gibt es da nicht viele andere Zwischenschritte? Recherchieren. Viel nachdenken. Eine Idee entfalten. Die Idee in eine Form pressen (die sich etwa aus der Recherche ergeben hat ) und dann die hinten und vorne herausstehenden Reste abschneiden, was die Geschichte in eine andere Richtung lenkt als geplant ...
Aber darüber nachzudenken, finde ich jedenfalls interessant und wie gesagt: Das Buch liest sich sehr schön.