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Ramona

Lesen: Das Ende vom Buch

Empfohlene Beiträge

"Erst verschenkt, dann vergessen: Immer weniger Menschen versenken sich in Bücher. Zugleich versprechen Apps effizientes Schnelllesen. Schlimm? Oder neu und erfreulich?"

 

https://bit.ly/36pfyEA

 

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Schnell lesen habe ich schon als Student trainiert. Das ist nichts Neues und außerdem eine äußerst nützliche Fähigkeit. Aber man braucht es für alle jene Text, bei denen man nur wissen muss, worum es geht. Und gerade diese Texte wurden in meinem Berufsleben damals immer mehr.

 

Das hat aber nichts und überhaupt nichts mit tiefem Lesen oder der Unterscheidung von Belletristik und Sachbüchern zu tun. Ich habe immer noch Sachbücher im Regal stehen, in die ich mehr Kommentare hineingeschrieben habe, als der Autor Buchstaben. (Na, das war jetzt schon übertrieben, aber es gibt kaum noch freien Raum an den Rändern und zwischen den steiten steckt Notizpapier, wo es weitergeht, wenn der Rand nicht mehr reichte.)

 

Die Fähigkeit des tiefen Lesens zu verlieren, ist allerdings eine Katastrophe, den Verstehen oder gar Durchdenken ist unmöglich oder tiefes Lesen.

 

Dafür muss sich erst einmal der Grundschulunterricht verändern und sich die Einsicht durchsetzen, dass es wenig hilft, irgnewelchen Nachrichtenschnipseln hinterherzuhetzen. Ersteres ist machbar. Für Letzteres hilft ... vielleicht beten?

 

Liebe Grüße

Wolf

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In der letzten Zeit überlege ich mir immer öfter, ob und wem ich noch Bücher schenke. Selbst Menschen, die früher Bücher verschlungen haben, sagen mir, dass sie keine Zeit mehr dazu haben. Das finde ich weder besonders schlimm noch erfreulich, sondern einfach nur schade. Leute, die keine Zeit oder Geduld mehr haben, sich ins Lesen zu versenken, bringen sich nicht nur um die Möglichkeit, empathischer zu werden. In dieser schnelllebigen Zeit gehen sie lieber ins Kloster oder besuchen Achtsamkeitsseminare, anstatt sich mal richtig mit einem Buch aufs Sofa zu begeben. Das ist total entspannend und Untersuchungen zufolge sogar blutdrucksenkend! Abgesehen von den großartigen Filmen, die im Kopf ablaufen können. 

 

Auf der anderen Seite könnten solche Nachschlagewerke komprimierter Bücher auch eine Orientierungshilfe sein - wie in dem Artikel auch gesagt wird. Man hat dann eine Übersicht und kann sich entscheiden, in welche Werke man sich gern vertiefen möchte.

 

Schnelllesen kenne ich aus meiner Studienzeit. Bei uns gab es jeden Tag mehrere Zeitungen, die man als Ergänzung zu den Nachrichten quergelesen hat.

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Ja, es gibt eine Lesekrise. Aber nicht die, die in diesem Artikel in der ZEIT von Johannes Franzen beschrieben wird:

 

"Diese Unsicherheit ist die Folge einer Demokratisierung der gültigen Allgemeinbildung. Es reicht heute nicht mehr, sich das stabile Wissen der Gruppe anzueignen, die über kulturelle Hegemonie verfügt;"

 

Moment mal, Herr Franzen.

 

Dem Autor, Johannes Franzen (https://www.grk2291.uni-bonn.de/de/personen/johannes-franzen), geht es darum, wie es auf andere wirkt, was ich gelesen habe.

 

Zum Hintergrund: Früher gab es einen vereinbarten Kanon von „guten Werken“. Das geht zurück auf das Bildungsbürgertum in der Ständegesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts. Diese gesellschaftliche Elite nahm Schlüsselpositionen im Staatswesen ein und definierte sich u.a. über Bildung. Dieser Prozess wirkt nach Abschaffung der Stände vor 100 Jahren im deutschsprachigen Raum weiter fort. Wer den Kanon festlegt, hat die Deutungshoheit. Die anderen laufen hinterher.

 

Jetzt haben aber die Kanondirigenten Konkurrenz bekommen. Durch die Vielzahl von Medien und dadurch, dass sie diese Medien nicht mehr vollständig kontrollieren können. Früher entschieden sie nicht nur, was die guten Werke sind, sondern auch, wer welche publizieren durfte. Diese Privilegien sind mit den „demokratisierten“ Medien dahin.

 

Das kann man durchaus als Krise empfinden. Für die Verlage. Für die Bildungsbürger. Für die auf Wirkung Bedachten. Oder für die vom Bildungsbürgertum verwöhnten Autoren, zumal auf der Kulturseite der „ZEIT“.

 

Nach meiner Einschätzung ist das aber keine gesellschaftlich relevante Krise. Das zentrale Problem besteht nicht darin, dass weniger gedruckte Bücher verkauft werden. Das ist nur ein äußeres Anzeichen einer Veränderung.

 

Die Krise besteht darin, dass die Lesefähigkeit in der Bevölkerung abnimmt. Die OECD-Studie von 2003 zeigte schon, dass nur gut ein Viertel der 15-Jährigen in Deutschland komplexe Texte lesen (und verstehen) kann und sich damit auf den beiden oberen der 5 Stufen der Lesekompetenz befindet. Alle anderen haben Probleme beim Lesen. Sie können sicher keine Romane lesen, geschweige denn längere komplexe Sachtexte.

 

Das gibt sehr zu denken, da inzwischen mehr als die Hälfte eines Jahrgangs die Schule mit dem Abitur abschließt, und zwar mit immer besseren Noten, auch im Fach Deutsch. (Zum Vergleich: 1970 machten etwa 10% einen Jahrgangs Abitur.) Auf dem Markt gibt es also immer mehr Akademiker aber eine abnehmende Lesekompetenz.

 

Offenbar gibt es einen Markt für Apps, Internetseiten und Bücher, mit der man Kenntnisse eines Bildungskanons vortäuschen kann. Hier ein Beispiel:

 

„Beeindrucken Sie Freunde und Bekannte mit Latein.“

„Hier finden Sie Lateinische Weisheiten, Sprüche und Zitate mit deutscher Übersetzung.“

https://lebensweisheiten-sprueche.ch/lateinische-zitate-und-lebensweisheiten/

 

Der Autor des Artikels aus der ZEIT erkennt richtig: „So wird Bildung zum reinen Habitus des Akademischen entkernt, zum Instrument des Sich-attraktiv-Machens“. Einfach gesagt: Bildung verkommt so zum reinen Stallgeruch.

 

Dann fragt man sich, wozu soll man denn überhaupt Bücher lesen?

 

Die Antwort von Johannes Franzen:

 

„Der Kern dessen, was das Lesen ausmacht, ist intellektueller Hedonismus, und dazu gehört eben auch die bange Frage, ob man genug gelesen hat, ob man das Richtige liest.“

 

In einfachem Deutsch: Bücher lesen aus Freude am Lesen.

 

Allerdings sagt Franzen nicht, wie man dieses Ziel erreichen kann angesichts der Tatsache, dass so viele Mitbürger nicht in der Lage sind, ein Buch zu lesen und dass in vielen Ländern ein Rückgang der Lesekompetenz beklagt wird. Lesen aus reiner Freude am Lesen gilt vor allem für diejenigen, die schon über eine entwickelte Lesekompetenz verfügen.

 

Nein, es geht nicht um die Kunst der Kunst Willen. Dann wäre das Lesen längerer Texte tatsächlich am Ende.

 

Lesen ist gut für den menschlichen Verstand. (Und kann dabei auch Freude bereiten.) Und aus diesem Grund ist es in der heutigen schriftorientierten Gesellschaft wichtig, dass alle Menschen in die Lage versetzt werden, längere komplexe Texte zu erfassen.

 

In der Evolution des Menschen trat das Lesen und Schreiben erst vor einer Millisekunde auf. Genau gesagt vor gut 5000 Jahren, und das auch nur bei wenigen „Schriftgelehrten“.  Zur Zeit der Reformation waren über 90% der Menschen in dem Gebiet, das heute Deutschland ist, Analphabeten. Zur Zeit der Aufklärung waren es noch über 50%. Und erst dann wurde die allgemeine Schulpflicht langsam eingeführt. 1900 lag der Alphabetismus bei 70% und erreicht auch heute nicht die 100-Prozentmarke. Und das betrifft auch nur die grundlegende Lesefähigkeit, nicht die fortgeschrittenen Stufen. So gesehen ist das Auftreten von Lesen und Schreiben als menschliche Fähigkeit bei einem Alter der menschlichen Sprache von mindestens 100.000 Jahren nur ein Wimpernschlag.

 

Daher hat das Lesen und Schreiben - anders als das Sprechen und Hören – im Gehirn noch keine bleibenden Spuren hinterlassen. Das Gehirn ist für die mündliche (und die gestische) Sprache verdrahtet, und alle gesunden Individuen lernen schon allein durch sprachlichen Input sprechen und verstehen. Das gilt nicht für das Lesen und Schreiben. Hier muss die visuelle Wahrnehmung mit den in der Evolution entwickelten Prozessen der Sprachverarbeitung durch Unterricht verknüpft werden. Und im geschriebenen Text gibt es ganz neue Bedingungen für Sprache. Dadurch entwickelt sich eine neue, erweiterte Form von Sprache, die für neue Zwecke wie für Wissenschaft geeignet ist. Ohne voll entwickelte Lesekompetenz ist es schwer, wenn nicht unmöglich, die Dinge zu denken, die in dieser Sprachform ausgedrückt werden.

 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich viele kognitive Leistungen des Menschen mit zunehmender Lesekompetenz steigern. Das wird in der entsprechenden Forschung deutlich belegt:

https://culturalbrain.org/research/the-literate-brain/effects-of-literacy-on-cognition/

 

Aus gesellschaftlicher Sicht geht es also nicht darum, den literarischen Lesekanon zu erhalten oder mehr Literatur zu verkaufen, sondern darum, die Lesekompetenz auf ein Niveau zu bringen, das den gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft entspricht. Dabei kann nach meiner Ansicht das Lesen von Romanen und anderer schöngeistiger Literatur eine herausragende Rolle spielen – unabhängig davon, wie sich Verlage entwickeln.

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Früher war man dabei und zog sich aus dem Dabeisein zurück mit einem Buch.

Heute muss man die ganze Zeit strampeln, um dabei zu sein und nichts ist schlimmer als sich zurückzuziehen.

Kommt mirjedenfalls so vor.

Mittlerweile.

 

Liebe Grüße

Wolf

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Das war eine sehr schöne und lehrreiche Abahndlung über die historische, individuelle und gesellschaftliche Entwicklung der Lesekompetenz, Manfred!

 

Lesen ist gut für den menschlichen Verstand. (Und kann dabei auch Freude bereiten.) Und aus diesem Grund ist es in der heutigen schriftorientierten Gesellschaft wichtig, dass alle Menschen in die Lage versetzt werden, längere komplexe Texte zu erfassen.

 

Mit dieser Frage habe ich mich etwas länger beschäftigt und werde das auch noch vertiefen. Ich frage mich nur, wer denn diese Lesekompetenz vermitteln soll, wenn doch die Akademiker (u.a. Lehrer und Professoren) immer leseinkompetenter aus dem Abi und von der Uni kommen. Und viele von den Übrigen sind so abgelenkt durch ständige Bewegungen und Schnitte beim Lesen, dass sie nicht mal mehr einem längeren Satz in einem (klassischen) Roman folgen können.

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Über eine Schreibinkompetenz bin ich schon relativ früh gestolpert, aber nicht über eine Leseinkompetenz bei Studenten. Das mag aber daran liegen, dass ich Naturwissenschaftler bin, die in ihren wissenschaftlichen Aufsätzen selber eine knappe Sprache lieben. Bei den Juristen würde ich vermuten, dass es da eine Friss oder Stirb-Situation gibt und man die Auswirkungen am ehesten bei den Studienabbrechern finden könnte. Außerdem verbinden sich da Leseschwierigkeiten mit Schwerigkeiten der Terminologie und denen eines recht formalen Denkens. Das überlagert sich alles. Man muss sich also so oder so durchbeißen.

 

Anders könnte es bei den Philologen und Soziologen aussehen. Aber da dünnen meine Freundschaft mehr und mehr aus. Aber ich kann mir vorstellen, dass sich dort eher die Bücherfreunde tummeln.

 

Kann jemand etwas dazu sagen?

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Direkt dazu sagen kann ich eigentlich nichts. Aber ich habe eine unveröffentlichte Studie von 2012 gefunden, bei der gravierende

Mängel bei allen Studierenden festgestellt wurden. (Der Altphilologe Prof. Gerhard Wolf hatte das initiiert). Statt Lese- und Schreibkompetenz hätten die Studenten vor allem Medienkompetenz gehabt. Dabei aber Schwierigkeiten entwickelt, bei Vorlesungen mitzuschreiben oder den zweiten Weltkrieg dem richtigen Jahrhundert zuzuordnen.

 

https://www.heise.de/tp/news/Studierende-mit-alarmierenden-Lese-und-Schreibschwaechen-1988011.html

  

 "Darüber hinaus erwähnt Wolf, dass man zwar besonders in den Geisteswissenschaften über die beobachteten Defizite alarmiert sei, dass es aber in den Naturwissenschaften "nicht viel besser" aussehe."

Bearbeitet von Christa
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Über eine Schreibinkompetenz bin ich schon relativ früh gestolpert, aber nicht über eine Leseinkompetenz bei Studenten. Das mag aber daran liegen, dass ich Naturwissenschaftler bin, die in ihren wissenschaftlichen Aufsätzen selber eine knappe Sprache lieben. 

 

Auch in den Naturwissenschaften hat das Lesen während des Studiums abgenommen. Früher hat die Vorlesung nur einen Ein- und Überblick geboten, und den Rest musste man sich selbst anlesen. Heute erwarten (und bekommen) die Studierenden ein Skript zur Vorlesung, und die Prüfungen gehen inhaltlich nicht darüber hinaus. Aber auch das wird nicht unbedingt gelesen, wenn man es sich in einem youtube-Video erklären lassen kann. Die sind zwar oft inhaltlich nicht ganz richtig, doch zum Bestehen reicht es. (Kann ich nicht durch Studien belegen, ist eine eigene Beobachtung bei einigen aktuellen Studis.) 

Olaf Fritsche 

www.seitenrascheln.de

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Tolle Abhandlung von Manfred über die schwindende Lesekompetenz. Davon sind viele Bevölkerungsgruppen betroffen. Warum aber ist das so?

Was können Gründe dafür sein?

Heute ist die digitale Kompetenz an die Stelle der Lesekompetenz getreten. Man muss ein Smartphone bedienen können, wenn  man in die Gesellschaft integriert sein will. Früher war es wichtig, einschlägige Schriftsteller zu kennen, jedenfalls in bürgerlichen Kreisen.

Texte bleiben für diejenigen spannend, die sprachästhetischen Gebilden etwas abgewinnen können. 

Die Welt der Texte spaltet sich in verschiedene Genres. Manche Menschen lesen zwar, aber ausschließlich bestimmte Richtungen. Sie haben Textverständnis und Lesekompetenz, aber nur für bestimmte Gattungen ein offenes Ohr. In ihrem Genre dann sind sie topfit.

Viele Jugendliche haben ein hohes Textverständnis und verfügen über ausgeprägte textanalytische Fertigkeiten. Aber ihre Freizeit verbringen sie nicht mehr zurückgezogen (!) mit einem Buch auf den Knien, sondern mit Insatgram und Spotify. Die digitalen Medien nehmen einfach den Raum ein, den früher das Buch bekam. Die Zeit, die zum Lesen bleibt, ist weniger geworden. Daher favorisiere ich kurze Texte, die Emotionen wecken und zugleich mit sprachlicher Raffinesse die Gedanken fordern und die Fantasie freisetzen, denn das leistet kein anderes Medium. Ein Keks aus Text für zwischendurch macht mehr Menschen glücklich, als man so denkt. Wir müssen ihn ihnen nur anbieten!

www.susanne-konrad.de 

 

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... die schwindende Lesekompetenz. ... Was können Gründe dafür sein?

 

Heute ist die digitale Kompetenz an die Stelle der Lesekompetenz getreten. ...

 

Die digitalen Medien nehmen einfach den Raum ein, den früher das Buch bekam. Die Zeit, die zum Lesen bleibt, ist weniger geworden. Daher favorisiere ich kurze Texte, die Emotionen wecken und zugleich mit sprachlicher Raffinesse die Gedanken fordern und die Fantasie freisetzen, denn das leistet kein anderes Medium. Ein Keks aus Text für zwischendurch macht mehr Menschen glücklich, als man so denkt. Wir müssen ihn ihnen nur anbieten!

 

Ich zitiere zu dieser Aussage mal aus dem Text, den Ramona oben eingestellt hat:

 

"Folgt man der einschlägigen Leseforschung, bewegen wir uns von einem Deep Reading, einem tiefen und gehaltvollen Eintauchen in die gedruckte Welt der Texte, hin zu einem oberflächlichen Lesen, das die Bildschirme nur gierig überfliegt, immer auf der Suche nach neuem "content". Die Kognitionswissenschaftlerin Maryanne Wolf etwa schreibt in ihrem Buch Schnelles Lesen, langsames Lesen, das tiefe Lesen langer Bücher helfe uns nicht nur, klüger zu werden, es mache uns auch zu besseren Menschen, weil wir gezwungen werden, uns auf die Perspektiven anderer Menschen einzulassen und damit unsere Empathiefähigkeit trainieren."

https://bit.ly/36pfyEA

 

In diesem Punkt stimme ich mit Maryanne Wolf ganz überein: vertieftes Lesen, wie es beim Lesen eines Romans oder von Fachbüchern notwendig ist, hat einen Mehrwert. Wenn wir den verlieren, ist dies ein Verlust. Maryanne Wolf bezieht sich auf die Empathiefähigkeit. Ich beziehe mich auf kognitive Fähigkeiten.

 

Es geht also nicht darum, einem alten Medium nachzuweinen, das aus Zellulose hergestellt wird, sondern um die kognitiven und emotionalen Prozesse, die mit einem Erfassen und Verarbeiten eines längeren, zusammenhängenden Textes verbunden sind, egal ob auf Papyrusrollen, in Stein gemeißelt oder auf dem Flüssigkristallbildschirm meines E-Readers. Wie gesagt, "... ohne voll entwickelte Lesekompetenz ist es schwer, wenn nicht unmöglich, die Dinge zu denken, die in dieser (schriftlichen) Sprachform ausgedrückt werden." Das hat Konsequenzen für Technik, Wissenschaft und Kultur. Mehr Kekse aus Text sind kein Problem, solange des vertiefte Lesen dabei nicht verloren geht.

Bearbeitet von Manfred
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Ich finde das ja auch. Der geistig-emotionale Prozess beim vertieften Lesen ist unersetzlich. Aber wie kann man als Autor darauf reagieren, dass sich immer weniger Menschen auf diesen Prozess einlassen?

Bei den Lesergemeinden für Historische Romane, Fantasy oder Kriminalliteratur klappt das noch ganz gut: umfangreiche Werke werden interessiert gelesen, die Rezipienten tauchen tief in das Geschehen ein und lassen sich mitreißen. Aber gemessen an der Gesamtbevölkerung sind das auch Minderheiten.

Und wie ist das mit Lesern von Gegenwartsliteratur? Hier denke ich, ein gehaltvoller Text muss nicht unbedingt lang sein. Bei der Schnelllebigkeit unserer Zeit (Hier ein Klick, da ein Zapp) muss ich nicht endlos einleiten, bis das Eigentliche losgeht. Seitenlange Beschreibungen von örtlichen Gegebenheiten oder von Charakteren wie im 19. Jhd. sind einfach schwierig.

Ich meine, man muss die Leser unserer Zeit auch abholen, wo sie stehen und da präferiere ich hohe Dichte auf engem Raum. Sprich: Lyrik, Erzählungen, Novellen sollten kein Tabu sein. Das meine ich mit dem Keks aus Text. Eine Novelle ist in einer Stunde gelesen, hinterlässt aber einen bleibenden Eindruck.

Ein geeignetes Vehikel sind Lesungen. Da wird der Keks mündlich auf dem goldenen Tablett serviert. Oft reicht das den Hörern auch aus. Das ganze Buch brauchen sie gar nicht mehr. Die Hörer hatten dann ein Text-Erlebnis, ohne selbst gelesen zu haben.

www.susanne-konrad.de 

 

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Bei den Lesergemeinden für Historische Romane, Fantasy oder Kriminalliteratur klappt das noch ganz gut: umfangreiche Werke werden interessiert gelesen, die Rezipienten tauchen tief in das Geschehen ein und lassen sich mitreißen. Aber gemessen an der Gesamtbevölkerung sind das auch Minderheiten.

 

Thriller à la Schätzing oder Marc Elsberg nicht zu vergessen. Oder die Sciencefiction, auch wenn die im Verhältnis zu anderen Genres ein nahezu winzige Leserschaft hat, obwohl gerade hier brillante Werke entstanden sind.

 

Apropos Anteil der Lesenden an der Gesamtbevölkerung: Erinnere mich da an einen Artikel über eine Studie, den ich irgendwann um die Jahrtausendwende gelesen hatte. Darin stand, dass der Bevölkerungsanteil der Buchleser (also Vielleser und Gelegenheitsleser zusammen, wobei der Anteil der Gelegenheitsleser höher ist) weniger als 3 % der Bevölkerung ausmachte und somit konstant blieb. Unter Berücksichtigung der Zeitungsleser (und damit war nicht das Lesen der wöchentlich erscheinenden TV-Zeitung etc. gemeint) käme man auf einen Anteil von 5 %.

 

Ich erinnere mich allerdings nicht mehr, ob diese Studie auch Sachbücher einbezog. Auch hier im Forum ist ja oft "nur" von Romanen die Rede. Sachbücher, Comics oder Sach- und Fachzeitschriften fallen da ja weitgehend unter den Tisch. Dabei gibt es eine Menge Leserinnen und Leser, die auch ganz ohne Prosa kluge Köpfe geworden sind.

 

Jedenfalls war der Anteil der "tiefer lesenden" Bevölkerung wohl noch nie sehr hoch, auch wenn es so erscheinen mag, wenn man gewissermaßen in einer Leser-Bubble lebt und kommuniziert.

 

Liebe Grüße

Ramona

 

Bearbeitet von Ramona

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Oft muss man die "Leser-Bubble" aber verlassen und raus in den Alltag. Dort habe zumindest ich die Erfahrung gemacht, dass die gesellschaftliche Bedeutung von Fähigkeiten wie Textverständnis, Schriftsprachkompetenz u.s.w. seit dem Beginn dieses Jahrtausends rapide abgenommen hat. Erinnere ich mich an meine Jugend (ich bin 54), da galt es noch als soziale Katastrophe, wenn jemand wegen Rechtschreibschwäche Schulversagen hatte. Heute interessiert das keine Sau und das Rechtschreibniveau ist stark nach unten gegangen. Lesen und Rechtschreibung stehen schon in einem Wechselverhältnis. Beide genießen kein Image.

Dem Sinken des Wertes des Buches trägt der Buchmarkt Rechnung, indem er selbst immer oberflächlichere Bücher produziert. Das fördert die Spirale.

Der Gesellschaft fehlt aber etwas, wenn die Textualität keine Rolle mehr spielt. Es gibt durchaus ein Bedürfnis nach Nachhaltigkeit, das im Moment nur auf der Umweltebene ausgelebt wird, zum Beispiel mit veganem Essen.

Ich wünsche mir, ich hoffe sehr auf eine Renaissance, dass der geistige und emotionale Reichtum von Texten (egal ob Sachbuch oder Prosa)  wieder mehr wahrgenommen und dass schriftstellerische Leistung auch wieder mehr wertgeschätzt wird.

In dieser Hoffnung biete auch ich meine literarischen Kekse zum Probieren an.

www.susanne-konrad.de 

 

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... wieviel tatsächlich gelesen wird?

 

Hier die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Personen, die älter als 14 sind, und zwar mit folgender Frage:

 

"Was würden Sie ungefähr schätzen, wie oft Sie dazu kommen, ein Buch zur Hand zu nehmen - würden Sie sagen ..."

 

 

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171231/umfrage/haeufigkeit-des-lesens-von-einem-buch/

 

 

Natürlch hängen derartige Befragungen davon ab, was man fragt. Diese Befragung wird in den Medien als "Studie" gehandelt. Es geht natürlich nur um die Selbsteinschätzung im Rahmen einer Umfrage. Aber das ist ja schon mal etwas.

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Bearbeitet von Manfred
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Natürlch hängen derartige Befragungen davon ab, was man fragt. Diese Befragung wird in den Medien als "Studie" gehandelt. Es geht natürlich nur um die Selbsteinschätzung im Rahmen einer Umfrage. Aber das ist ja schon mal etwas.

 

Ein leichter, aber beständiger Wert nach unten. Ob das mit der Altersentwicklung zusammenhängt und die Leser buchstäblich allmählich wegsterben? 

Olaf Fritsche 

www.seitenrascheln.de

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