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DirkH

Inside Out Perspective?

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Lieber Dirk,

wir haben im Drehbuchstudium mehrfach mit Inside out und Outside in arbeiten "müssen". Da hat vor allem eine Professorin sehr großen Wert drauf gelegt. Das sah dann so aus, dass sie uns allen eine Situation gegeben hat wie zum Beispiel: Ein Virus bricht aus und legt die ganze Welt lahm, das Leben, das wir kennen, gibt es nicht mehr ;) . Von diesem Outside mussten wir dann losgehen. Wir mussten dann erstmal diese Welt genauer erfinden, was für ein Virus, wie verbreitet er sich, wie zerfällt die Welt, usw. Wir mussten schauen, wo in dieser Welt der spannendste Konflikt liegt. Nehme ich ein Land, das sich grade von einem Bürgerkrieg erholt und jetzt lässt der Virus alte Konflikte neu aufbrechen? Oder ein Land, in dem der Virus die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich jetzt eskalieren lässt? Oder ein Land, in dem eigentlich alles gut schien und plötzlich brechen Konflikte aus, die die ganze Zeit "geschlafen" haben? Usw. Hatten wir jeweils unseren Konflikt, dann haben wir uns angeschaut: Wer agiert in diesem Spannungsfeld? Wo ist hier der spannendste Konflikt? Und wenn wir dann unsere Figuren hatten, dann haben wir sie zu Charakteren ausgearbeitet. Hier gab es auch wieder die Frage: Wo liegt für einen der spannendste Konflikt? Liegt er darin, dass die Figur mit ihrem Charakter zu lange an der alten Welt, an dem gewohnten Leben festhält? Oder verschafft das neue Außen der Figur auf einmal einen ganz anderen Status? Usw. 

 

Das Material, das uns die Professorin zu Outside in gegeben hat, war unterschiedlichster Art: Zeitungsartikel, Interviews, Sachbücher, Situationen, die sie sich ausgedacht hatte, usw. Das waren auch auf den ersten Blick unspektakuläre Situationen: eine kleine Buchhandlung bekommt auf der Straße gegenüber die Filiale einer riesigen Buchhandelskette vor die Nase gesetzt ("Email für dich"). In einer Straße soll einen Sommer lang die ganze Straße aufgerissen werden, wofür - aus Gründen, die ich vergessen habe - das Wasser für die Häuser abgestellt werden muss. Usw.

 

Bei Inside Out war es genau so, nur umgekehrt. Da hat sie uns Figurenmaterial gegeben: krankhaft eifersüchtig, geizig, gutmütig, selbstlos, feige, mutig, usw. Oder: eine Frau verlässt ihr Kind, ein Mann hilft seiner Frau nicht aus dem brennenden Haus, ein Kind wächst mit einem manisch-depressiven Vater auf, eine Frau kann nicht aufhören zu trinken ("Paradise" von A.L. Kennedy), usw. Da haben wir uns dann erstmal in die Psychologie und diese Themen eingelesen, haben Interviews mit Psychologen und anderen Experten geführt, dann Interviews mit Betroffenen, usw. Heißt, wir haben auch hier nach dem spannendsten Konflikt gesucht. Beim Ideensplitter "Trauer" bin ich auf "Trauer um ein Kind" gekommen. Bei der Recherche war für mich dann der spannendste Konflikt, der mir begegnete: wie manisch und zerstörerisch Trauer sein kann. Diesen Konflikt habe ich dann aus einer Figur (der Mutter) ausgearbeitet und dann auf weitere Figuren ausgebreitet und dann bin ich immer mehr ins "außen" gegangen: Was passiert zwischen den dreien? Wie eskaliert die Situation? Das fing dann mit simplen Fragen an: Wo leben die? Wie war ihr Leben vor dem Tod der Tochter? Wer hat welchen Beruf? Usw. Aber beim Beantworten dieser Fragen liegt der Fokus immer auf dem zentralen Konflikt. Was erschwert/befeuert diesen? Was läuft diesem zuwider? Was erstarkt durch den Konflikt? Usw. Und am Ende hat man dann eben auch wie bei Outside In eine Geschichte, in der die Charaktere untrennbar mit der Handlung und dem Außen verbunden sind. 

 

Wir haben das wie gesagt als Arbeitsschritte kennengelernt. Damit wir aus den unterschiedlichen Ideensplittern unsere Geschichten ausarbeiten können. Nach Quellen muss ich schauen, ist schon ne Weile her mein Studium ...  :o

 

Beide Arbeitsweisen sind gleichwertig - aber es gibt natürlich sicher Vorlieben der jeweiligen AutorInnen. Ich steh total auf Inside Out, ich springe auf diese Ideensplitter an, ein Kollege dagegen springt sofort auf Ideensplitter an, die Outside in sind. Den Büchern siehst du's am Ende aber nicht an ... 

 

Liebe Grüße

Lisa

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Lisa, das hilft mir aufs Pferd. Vielen Dank für diese anschauliche und ausführliche Erklärung. Das muss ja ein aufregendes Studium gewesen sein. 

 

Deine Ausführungen passen auch sehr gut zu unserem Thread über Inspiration, wie ich finde, bzw. sie schließen daran an und beantworten die Frage: Was macht man eigentlich mit der Inspiration und welche Techniken gibt es, daraus eine Geschichte zu entwickeln?

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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D.h. es ist in der Hauptsache eine Frage dessen, wo man beginnt, denn im Entwicklungsprozess geht man ja immer hin und her, vom Großen ins Kleine und zurück, von den Charakteren zur Welt und zurück, und eben auch von innen nach außen und zurück. 

 

Wenn ich mit einer Idee eines äußeren Ereignisses beginne, dann muss ich mich irgendwann fragen, welche Figuren am besten dazu passen, und mich mit denen beschäftigen.

 

Wenn ich mit einer Figur beginne, muss ich mich irgendwann fragen, welche äußeren Ereignisse (und Gegebenheiten) am besten dazu passen, und mich mit denen beschäftigen.

 

Allerdings taugt es womöglich als Typologie für Autoren, merke ich. Ich bin eindeutig eher der Outside-In-Typ.

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 Das muss ja ein aufregendes Studium gewesen sein. 

 

Ich glaube, es war wie in allen anderen Unis: Der Unterricht steht und fällt mit dem jeweiligen Prof. Und da gehörte sie definitiv zu den besten! Sie hat mich auch einmal zur Milieuerforschung in ein Bordell geschickt  :s18

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Sebastian Niedlich

Allerdings taugt es womöglich als Typologie für Autoren, merke ich. Ich bin eindeutig eher der Outside-In-Typ.

Ich glaube - und damit meine ich, dass ich einfach keine wissenschaftliche Grundlage dafür habe -, dass die meisten Ideen tatsächlich eher aus einer Outside-In-Perspektive kommen. Die wenigsten spannenden Ideen stammen vermutlich aus einer Überlegung "Hm, man sollte mal was über eine schüchterne Person schreiben", sondern aus "Was wäre, wenn Aliens auf der Erde landen und Kasekuchen für alle dabeihaben, aber manche mögen keinen Käsekuchen..."

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Lisa, das hilft mir aufs Pferd. Vielen Dank für diese anschauliche und ausführliche Erklärung. 

 

Ich schließe mich an, danke Lisa, das war/ist sehr interessant. Dass man es "den Büchern letztlich nicht ansieht", glaube ich gleich. Besonders zu Filmen fielen mir da gleich ein paar Titel ein, wo Innen und Außen gar keinen Widerspruch darstellen.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Which is to say Inside Out writing, where we base the entire story prep process with the characters who are inside the Story Universe, is much preferable to Outside In writing, where the writer manipulates characters and plot to fit the writer’s perception of the story. 

Scott Myerhttps://gointothestory.blcklst.com/inside-out-vs-outside-in-writing-5dbb18839e2

 

Die Definition scheint nicht so einfach zu sein, denn writing from inside out bezeichnet auch den Unterschied zwischen erlebenden Schreiben und erzählenden/berichtenden Schreiben und nicht einen Planungsprozess. So gibt es Material für Lehrer, die den Kindern das Schreiben "Inside out" nahelegen sollen, was nichts mit dem Plot zu tun hat.

Ich habe oft meine Schwierigkeiten, wenn in Deutschland englische Begriffe verwendet werden, die dann sich nicht unbedingt auf das Ursprungsland zurück verfolgen lassen. 

Bearbeitet von IlonaS

Krimis, Liebe und Mehr.

www.ilonaschmidt.com

Translations, Lektorat & Exposé Coaching

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Ich habe oft meine Schwierigkeiten, wenn in Deutschland englische Begriffe verwendet werden, die dann sich nicht unbedingt auf das Ursprungsland zurück verfolgen lassen. 

Da stimme ich Dir zu, Ilona. Allerdings waren die Auslöser für die hier diskutierten Begriffe keine Deutschen, sondern Margaret Atwood und Ernest Hemingway. 

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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Wir haben eine Antwort auf unsere Frage und prompt neue Fragen. Herrlich.Und danke, Ilona, für das Zitat von Scott Myers, dessen Meinung ich sofort widersprechen würde. Aber das liegt daran, dass ich High Fantasy schreibe, deshalb immer mit dem Weltenbau beginne, und außerdem Bauchschreiber bin, der seinen Plot gar nicht kennt, wenn er anfängt zu schreiben. Myers geht also von einem Kreativitäts oder Planungsprozess aus, den gar nicht alle Autoren teilen.

 

Liebe Grüße

Wolf

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Ich habe oft meine Schwierigkeiten, wenn in Deutschland englische Begriffe verwendet werden, die dann sich nicht unbedingt auf das Ursprungsland zurück verfolgen lassen. 

Da stimme ich Dir zu, Ilona. Allerdings waren die Auslöser für die hier diskutierten Begriffe keine Deutschen, sondern Margaret Atwood und Ernest Hemingway. 

 

Vor allem bei Hemingway vermute ich, dass er den Prozess der Entstehung seiner Storys in seiner Muttersprache einfach beschrieben hat. Eine Story wächst in seinem Inneren, getrieben von Konflikten seiner Figuren. Ein Amerikaner würde den Vorgang so beschreiben, ohne dass dahinter sofort eine allgemein gültige Definition stehen muss. Später kann sich daraus eine entwickeln, aber im ersten Schritt war sie nicht vorhanden. 

"how do you get to your story?"

"Well, I let it brew a bit in my inside, allow the characters and their conflict to grow, and then I put them out into a world. It's an inside out process."

 

Atwood bezieht sich auf Hemingway, auch sie lässt ihre Storys sich von "innen" herausentwickeln. 

Mit der anderen Version, outside in, würde das bedeuten, ich schreibe äußere Ereignisse nach und erfinde/adaptiere die Figuren entsprechend. Dramatisierte Biografien, Reiseberichte oder journalistische Berichte sind ein Beispiel dafür. 

Atwood und Hemingway sind Autoren aus einer anderen schriftstellerischen Zeit. Man muss ihre Entwicklung im zeitlichen Kontext sehen. Atwood hat 1961 angefangen zu veröffentlichen, man muss ihre Art zu plotten und zu schreiben mit der damalig vorherrschenden Art (in USA) vergleichen. Hätten beide heute erst ihre Erfolge, würden sie eventuell andere Begriffe verwenden. 

 

Wäre das eine These, der man folgen kann?

Bearbeitet von IlonaS

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Ich sofort, Ilona. Ich kenne diese Tendenz in den USA oft aus differenzierten Vorgängen ein starres Konzept zu machen mit neuen Begriffen. Vielleicht kommt das aus der Marktwirtschaft. Manchmal hilft das, das Wesentliche einer Sache oder eines Vorgangs zu erkennen, manchmal ist es aber auch irreführend. Unsere Diskussion hat für mich auch gezeigt, dass neue oder neu erscheinende Konzepte gern daraufhin abgeklopft werden, ob sie für einen selber taugen oder in Punkten hilfreich sind.

 

Dass Atwood und Hemmingway Autoren ihrer Zeit sind, stimmt wohl, aber welcher Autor schreibt schon zeitlos. Ob das allerdings auch für den Kreativitätsprozess gilt, ist eine andere Sache. Da kann ich mir gut vorstellen, dass dieser geringeren Schwankungen über die Zeit unterworfen ist, als das, was schlussendlich herauskommt.

 

Für mich kann ich nur sagen, dass ich beides mache. Ich beginne Genre bedingt mit dem Setting, was ganz klar outside - in ist. Und dann entstehen innerhalb dieses Settings meine Figuren, and I let them brew a bit in my inside. Das wäre dann inside - out. Ich arbeite lieber mit dem Begriffspaar Bottom up und Top down.  Und mein Plot entsteht erst während des Schreibprozesses. Das ist klar charakter driven.

 

Liebe Grüße

Wolf

Bearbeitet von Wolf
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Gute Erklärung, Lisa. Vielen Dank dafür.

 

Ich überlege, wie ich das eigentlich mache. Oberflächlich betrachtet eher outside-in, denn ich beginne mit einer historischen Situation, die dann einen historischen Handlungsrahmen anbietet. Aber das ist noch bei weitem kein Plot. Ich konzentriere mich dann stark auf die Hauptfiguren, deren Motivation, Background, Konflikte, also inside-out. Erst wenn die Figuren deutlich geworden sind, versuche ich sie und ihre Eigenarten in die historische Lage einzuordnen. Es entstehen praktisch zwei Plotlinien, die private der Figuren und die der historischen Ereignisse, die sich natürlich mischen und miteinander verbinden. Irgendwie ein Mischform. Aber so kategorisch, nur das eine oder das andere, wird es wohl kein Autor betreiben.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Gute Erklärung, Lisa. Vielen Dank dafür.

 

Ich überlege, wie ich das eigentlich mache. Oberflächlich betrachtet eher outside-in, denn ich beginne mit einer historischen Situation, die dann einen historischen Handlungsrahmen anbietet. Aber das ist noch bei weitem kein Plot. Ich konzentriere mich dann stark auf die Hauptfiguren, deren Motivation, Background, Konflikte, also inside-out. Erst wenn die Figuren deutlich geworden sind, versuche ich sie und ihre Eigenarten in die historische Lage einzuordnen. Es entstehen praktisch zwei Plotlinien, die private der Figuren und die der historischen Ereignisse, die sich natürlich mischen und miteinander verbinden. Irgendwie ein Mischform. Aber so kategorisch, nur das eine oder das andere, wird es wohl kein Autor betreiben.

Geht mir genauso. Es ist ein Ping-Pong zwischen OI und IO, wobei die IO-Phase über den Daumen 80% ausmacht.

 

LG

Martin

_________________________________________________

www.martinconrath.de

Jede Art des Schreibens ist erlaubt - nur nicht die langweilige (Voltaire)

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Ihr Lieben,

natürlich mischen sich die AutorInnen diese Arbeitsweisen je nach Gusto und Projekt - wir sind ja keine Roboter! Und das darf ja auch so sein!

 

ABER: Unsere Professorin hat uns an der Aka bewusst sehr streng geführt, wir durften bei Outside In erst sehr spät mit den Figuren anfangen und bei Inside Out erst sehr spät mit der Welt. Wir sind am Anfang natürlich auch gleich hin und her geglitten - und dabei sind uns wichtige Blickwinkel flöten gegangen. Es war für mich, die fast immer Inside Out macht, total spannend, gezwungenermaßen erstmal nur die Konflikte in der Welt zu sehen. Ich wäre viel zu früh zur Figur abgebogen und hätte mich nicht tiefer in die Welt gegraben und so auch nicht ein Spannungsfeld erreicht, das für die Figuren dann wiederum viel spannender gewesen wäre. Einigen meiner KollegInnen, die lieber Outside In gemacht haben, ging es genau umgekehrt. Die wurden bei Inside Out gezwungen, lange bei der Figur zu bleiben und nicht schon die Welt mitzubauen. Lange Rede kurzer Sinn: Es ging meiner Professorin darum, uns vor allem im Finden der Konflikte sowohl Inside Out als auch Outside In zu trainieren. Sie hat uns gezwungen, genau hinzuschauen.

 

@ Ilona: Ich glaube, du vermischst da etwas, was nicht vermischt werden sollten. Dirks Definition beschreibt die beiden Arbeitsweisen ja sehr gut, es geht um den Story Seed - und bei dem ist es egal, ob er von einem Charakter ausgeht oder von einer Situation, Prämisse, Welt. Dein Zitat von Scott Myers ist einfach Myers (und anderer Leute) Meinung, dass Inside Out zu bevorzugen sei. Ja, bei Outside In besteht die Gefahr, dass die Charaktere im Sinne der Außenwelt verbogen und zu Erfüllern gemacht werden - aber dafür kann die Arbeitsweise nichts! Das liegt dann ganz allein an den Autorinnen. So wie bei Inside Out die Gefahr besteht, dass die Welt zu schematisch gebaut ist. Aber auch da liegt es nicht an der Arbeitsweise... 

 

Liebe Grüße

Lisa

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Unsere Professorin hat uns an der Aka bewusst sehr streng geführt, wir durften bei Outside In erst sehr spät mit den Figuren anfangen und bei Inside Out erst sehr spät mit der Welt. Wir sind am Anfang natürlich auch gleich hin und her geglitten - und dabei sind uns wichtige Blickwinkel flöten gegangen. Es war für mich, die fast immer Inside Out macht, total spannend, gezwungenermaßen erstmal nur die Konflikte in der Welt zu sehen. Ich wäre viel zu früh zur Figur abgebogen und hätte mich nicht tiefer in die Welt gegraben und so auch nicht ein Spannungsfeld erreicht, das für die Figuren dann wiederum viel spannender gewesen wäre. Einigen meiner KollegInnen, die lieber Outside In gemacht haben, ging es genau umgekehrt. Die wurden bei Inside Out gezwungen, lange bei der Figur zu bleiben und nicht schon die Welt mitzubauen. Lange Rede kurzer Sinn: Es ging meiner Professorin darum, uns vor allem im Finden der Konflikte sowohl Inside Out als auch Outside In zu trainieren. Sie hat uns gezwungen, genau hinzuschauen.

 

Das ist der große Nachteil des Autodidakten: Er leitet sich selbst an und geht oft unbewusst den bequemeren Weg. Deine Ausführungen, Lisa, verführen mich dazu, es selbst mal auf diese Weise auszuprobieren (gerade liegt ein neues Projekt auf dem Schreibtisch und will ausgearbeitet werden).

 

 

Ja, bei Outside In besteht die Gefahr, dass die Charaktere im Sinne der Außenwelt verbogen und zu Erfüllern gemacht werden - aber dafür kann die Arbeitsweise nichts! Das liegt dann ganz allein an den Autorinnen. So wie bei Inside Out die Gefahr besteht, dass die Welt zu schematisch gebaut ist. Aber auch da liegt es nicht an der Arbeitsweise... 

 

 

Genau das habe ich mir auch schon gedacht: Wenn man sich zu stark an Regeln klammert, bleibt vielleicht die Lebendigkeit des Textes auf der Strecke. Geht mir jedenfalls so, wenn ich die Handlung zu detailliert plotte.

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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Übrigens kann man das in der Doku über Margaret Atwood gut verfolgen, die hier auch bereits empfohlen wurde (Arte). Ihre Outside-Herangehensweise an den Report der Magd (auch noch an einige andere von feministischen Ideen getriebene Bücher), ihre absolute Akribie, mit der sie lange im Außen bleibt und überprüft, dass jede Regel, jedes Zitat, das in dieser konstruierten, so unmenschlich scheinenden Welt Buch gebraucht wurde, in unserer Wirklichkeit (damals, der 80er) bereits existierte, in irgendeiner Zeitung/Nachricht zu finden war - und das ohne Internet. Und wie akribisch und genau sie daraufhin ihre Figurenkonstellation und die Hauptfiguren baut.

 

Spannend finde ich im Übrigen auch, dass diese Außenwelt im Grunde auch eine bestimmte Erzählform sein könnte, wenn man sie als "Welt des Buches" begreifen will. Ja, und das, was Dirk und Lisa sagen, dem stimme ich unbedingt zu, danke auch nochmal, Lisa für diese so genaue Erläuterung und Nach-Erläuterung. Ich denke auch, wenn man eine Professorin von "Outside" hat, :)  die einen dazu anhält, länger zu suchen und nicht sofort den bequemen, weil vertrauten Weg einzuschlagen, kostet es mehr Erschaffungsqual, aber das Ergebnis überzeugt oder bringt einen jedenfalls voran. So erlebt man auch Frau Atwood, die ihre eigene Professorin ist, wie sie durch ihren Raum voller Zeitungssausschnitte tigert und sie zusammenstellt, dann von neuem beginnt ... nach bequemem Weg sieht das tatsächlich nicht aus.

Bearbeitet von ClaudiaB

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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@ Ilona: Ich glaube, du vermischst da etwas, was nicht vermischt werden sollten. Dirks Definition beschreibt die beiden Arbeitsweisen ja sehr gut, es geht um den Story Seed - und bei dem ist es egal, ob er von einem Charakter ausgeht oder von einer Situation, Prämisse, Welt. Dein Zitat von Scott Myers ist einfach Myers (und anderer Leute) Meinung, dass Inside Out zu bevorzugen sei. Ja, bei Outside In besteht die Gefahr, dass die Charaktere im Sinne der Außenwelt verbogen und zu Erfüllern gemacht werden - aber dafür kann die Arbeitsweise nichts! Das liegt dann ganz allein an den Autorinnen. So wie bei Inside Out die Gefahr besteht, dass die Welt zu schematisch gebaut ist. Aber auch da liegt es nicht an der Arbeitsweise... 

 

Ich glaube nicht, dass ich etwas vermische, ich habe Myers Zitat nur zu den Erklärungen hinzugefügt und im weiteren versucht zu der Entstehung dieser Begriffe auf den Grund zu gehen. Meine eigene Interpretation habe ich bisher noch gar nicht zum Besten gegeben. ;)

 

Mir ist das schon klar, was die Begriffe bedeuten und wie sie auch im Zusammenhang den Begriffe mit character und plot driven stehen. Da ich meine ersten Schritte in der Schriftstellerei in britischen und amerikanischen Zirkeln gemacht habe, und dort auch College Credits erzielt habe, glaube ich die vor allem die amerikanische Sichtweise gut beurteilen zu können. Zu der deutschen "Lehre" bin ich erst später gekommen. 

 

Mein Prozess fängt oft (nicht immer) Outside in an. Ich bekomme eine Idee einer Spannungskonstellation durch Ereignisse von außen und überlege mir, welche Charaktertypen dazu passen würden, um ein Buch darüber zu schreiben. aber sind die Figuren einmal in meinem Kopf, bestimmen sie, was sie aus dieser Konstellation machen, also inside out, oder früher sagte man, die Figuren verselbstständigen sich.  :)

 

Ich denke, dass pures Outside in verlangt, dass du eine äußere Konstellation eines Konflikts kreierst, der schon das Ende beinhaltet. Ich schreibe über ein historisches Ereignis und muss mit meinen Figuren dem entsprechen. Der Ausgang der Schlacht kann nicht offen sein, sondern ist vorbestimmt. Jeanne d'Arc wird am Scheiterhaufen enden, egal, wie du sie zeichnest. Nein, im Gegenteil, du musst sie so zeichnen, damit sie ihr Schicksal erleidet.

 

Bei purem inside out kann alles Mögliche passieren. Da könnte Jeanne d'Arc das Schwert fallen lassen und heiraten. 

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Liebe Ilona,

sei mir nicht böse, aber du vermischst hier wirklich mehrere Dinge. Die beiden Arbeitsweisen eine Geschichte zu entwickeln, um die es hier geht - Outside In und Inside Out - führen im Idealfall zum selben Ergebnis. Man nähert sich nur von unterschiedlichen Blickwinkeln aus, stellt die Fragen in einer unterschiedlichen Reihenfolge. Aber das, was du beschreibst, diese Ausschließlichkeit, dass man bei Outside In schon das Ende haben muss und bei Inside Out alles mögliche passieren kann, das stimmt so einfach nicht. Claudia hat auf Margret Atwood hingewiesen, die beim Report der Magd und auch bei anderen Büchern Outside In gearbeitet hat. Sie zeigt ja grade auf, dass bei Outside In auch alles offen sein kann, man nicht auf ein bestimmtes Ende festgelegt ist.

 

Meyers Zitat ist keine Erklärung, sondern eine Bewertung. Er zieht die eine Arbeitsweise - Inside Out - der anderen vor. Kann er ja gerne machen, jeder darf seine Lieblinge haben. Aber hier ging es ja erstmal nur um die beiden Arbeitsweisen, darum, wie sie funktionieren.

 

Meine Professorin war/ist übrigens Amerikanerin. Wir haben an der Filmakademie ja Dozenten/ProfessorInnen aus dem Filmbereich und da eben nicht nur aus Deutschland. Keith Cunningham (The Soul of Screenwriting) war mein Lieblingsprof.

 

Liebe Grüß

Lisa

Bearbeitet von Lisa
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Wieso soll ich dir böse sein? Erkenntnisgewinn ist der Sinn einer Diskussion - oder sollte es zumindest sein. Ich habe meine Interpretation geäußert, die meinem derzeitigen Kenntnisstand entspringt. Ich bin im Laufe der Jahre nur vorsichtig geworden, eine Theorie zu schnell zum Dogma zu erheben, dazu ist alles zu sehr im Fluss. Ich weiß auch nicht, ob man alles aus dem Scriptwriting 1:1 auf Romane übertragen kann - eine gegenseitige Befruchtung ist sicher richtig.

Bearbeitet von IlonaS

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Liebe Ilona,

da bin ich froh!

 

Aber eines verstehe ich nicht: Wer hat denn hier von Dogma geredet? Outside In und Inside Out sind einfach zwei Arbeitsweisen von ganz vielen, die man verfolgen kann oder nicht. Aber keiner von uns hat hier geschrieben, dass man die eine oder die andere verwenden muss

 

Outside In und Inside Out kommen meines Wissens nach auch nicht aus dem Scriptwriting. Das erste Beispiel, das wir damals dazu genannt bekamen, war "Krieg und Frieden" von Tolstoi.

 

Liebe Grüße

Lisa

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Vielleicht ist das Wichtigste, worauf es bei "methodischen Ansätzen" aller Art ankommt, das, dass sie uns lang genug vom Schreiben abhalten, dass wir, wenn wir die ersten Zeilen schreiben, wissen, was wir tun. Denn um das zu wissen, ist Vorbereitung nötig, viel Nachdenken und – Zeit.

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Oder, weil es mein Lieblingszitat ist: Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun was du willst.

Tolles Zitat!

 

Meinem Schreibunterricht stelle ich oft ein Zitat von Elizabeth George voran:

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

 

Deines sagt etwa das gleiche - nur kürzer

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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