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E.A. Poe zu seinen Texten

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So, auf Petras Wunsch habe ich diesen Text über Poe aus ihrem Thread gelöscht und einen neuen damit aufgemacht:

 

"Den meisten Autoren, und ganz besonders den Dichtern, ist es angenehmer, wenn man von ihnen glaubt, sie arbeiteten in einer Art schönen Wahnsinns – in ekstatischer Intuition – und sie schaudern bei dem Gedanken, das Publikum einen Blick auf die Szene ihres Schaffens tun zu lassen, auf das arbeitsvolle Ausfeilen des Gedankens, auf die Ideen, die sich oft tausendmal als Blitz vorüberhuschend zeigen und nicht als volles Licht verweilen wollen, auf die vielen wohlausgereiften Gedanken, die voll Verzweiflung als unverwendbar beiseite geworfen werden müssen, auf dies ewige, unendlich vorsichtige Wählen und Aussondern – kurz, auf die Räder und Riemen, die Leitern und Falltreppen, die Vorrichtungen zum Kulissenschieben und all die tausend Dinge, die der Autor bei der Arbeit nötig hat."

Der ganze Artikel findet sich unter:

(Link ungültig)

 

Und er stammt - von Edgar Allen Poe, geschrieben wurde er 1846.

 

Poe wollte anhand seines "Raben" die Entstehung einer Geschichte nachvollziehen:

"Und da das Interessante an solch einer Analyse oder Rekonstruktion, die ich, wie angedeutet, geradezu für ein Desideratum in der Literatur halte, ganz unabhängig von etwa vorhandenem oder nicht vorhandenem Interesse für den analysierten Gegenstand ist, wird man mir nicht Mangel an Geschmack vorwerfen können, wenn ich den modus operandi zeige, mittels dessen ich eins meiner eigenen Werke verfaßt habe. Ich wähle den ‘Raben’.

Und es ist nun meine Absicht, darzutun, daß nichts in diesem Gedichte dem Zufall oder der Intuition zuzuschreiben ist, und daß das Werk mit der Genauigkeit und starren Logik eines mathematischen Problems Schritt für Schritt entstand."

 

Poe ist einwandfrei einer derjenigen, die vorausplanen - und einer, der viel vom Handwerk hält und sich von "genialen", "plötzlichen Musenküssen" abgrenzt.

"Nun ist aber Originalität (außer vielleicht bei einem Geiste von ganz ungewöhnlicher Kraft) durchaus kein Kind des Instinktes oder der Intuition. Sie muß im allgemeinen durch emsiges Suchen gefunden werden, und obwohl sie einem Menschen als höchstes Verdienst anzurechnen ist, verlangt sie eigentlich weniger Erfindungskraft, als das Vermögen, zu negieren."

 

Auch sonst findet man manches, was heute in Schreibratgebern gesagt wird.

"doch war ich von je der Ansicht, daß nur in einem engen und begrenzten Räume eine einzelne Begebenheit zur Wirkung kommen kann" (E.A.Poe)

"Wenn man den Schauplatz einer Szene erarbeitet, lohnt es sich immer, ein paar Augenblicke über die Möglichkeit eines geschlossenen Raums nachzudenken" (Sol Stein)

 

Die Sprache zeigt deutlich, dass der Text über 150 Jahre alt ist, aber die methodische Klarheit und die genauen Überlegungen zum Handwerk, da könnte er von heute stammen.

 

Und auch Poe tut, was Autoren und Schreibratgeber gerne tuen: Er nimmt seine Methode für absolut, so soll es, so muss es sein:

"Hier also hat mein Werk seinen Anfang genommen, am Ende – wo alle Kunstwerke begonnen werden sollten;"

 

Scheint eine Gefahr zu sein, der man gerne erliegt, wenn man über das Schreiben schreibt.

 

Hans Peter

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Ich kenne den Text von Poe und er lügt darin, dass sich die Balken biegen. Es ist herrlich. ;) Das ist Wirklichkeitskonstruktion pur.

Das Wort "Nevermore" habe er rein des Klanges wegen gewählt, wodurch sich der Name der betrauerten Frau "Leonore" wie von selbst ergab, usw. Dabei hatte er vorher schon Frauenfiguren, die auf ähnliche Namen hörten, in seinem Werk und die Trauer um eine Geliebte ist ja sowohl stark in seinem Werk als auch seiner Biographie verankert.

Ich habe einen Kommentar zu diesem Aufsatz Poes und der beginnt mit dem herrlichen Zitat "Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden."

 

Ich glaube es ist der Versuch, aufsteigenden Wahnsinn in Form zu pressen. Den ungebundenen Verstand, den Geist, an die mathematisch-logische Leine zu legen. Dennoch:Literatur ohne Kreativität und Inspiration findet nicht statt.

 

Der Aufsatz ist von E.Y.Meyer und heißt "Das sprechende Tier oder Der nicht rationalisierbare Rest". Bei mir ist er im Nachwort zu einem Band namens "Der Rabe" aus der Insel-Bücherei (Nr. 1006).

Kleines Bändchen, deutsch/englische Version des Gedichts, deutsche Version des von dir zitierten Aufsatzes und eben das Nachwort noch.

(Link ungültig)

 

Kann durchaus sein, daß der werte Professor im Recht ist, aber ich fand den Aufsatz sehr einleuchtend und erhellend, vielleicht passt er auch einfach besser in mein Wertekonzept als das kalte mathematische Komponieren, das Poe für sich in Anspruch nimmt.

 

Gruß

Peter

 

Hallo Peter,

 

ja, das ist mir auch aufgestoßen, dass Poe jede Inspiration bei seinem Text abstreitet. Wobei er natürlich recht hat, man soll sich nicht mit der erstbesten Idee zufriedengeben, sondern weitersuchen, bis es *genau* passt.

 

Auch was er allgemein zur Struktur sagt, stimmt. Wieweit seine Erläuterungen zum Raben stimmen, da ist natürlich gut möglich, dass er wie viele Schriftsteller einfach sich und anderen was vormacht.

 

Aber wenn ich mich an seine Geschichten erinnere, die hatten alle eine sehr klare Struktur. Auch sein Artikel ist klar gegliedert und strukturiert. Was natürlich auch ein Versuch sein kann, dem beginnenden Wahnsinn Herr zu werden.

 

Danke jedenfalls für den Tipp mit dem Kommentar, das interessiert mich jetzt natürlich.

 

Grüße

 

Hans Peter

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Hey, freut mich, daß du nochmal nen eigenen Thread aufgemacht hast, ich habe die harte Knute Petras zu sehr gefürchtet, um nochmal in den anderen reinzuposten.

Ich kannte den Artikel eben schon, weil ich das Gedicht "Der Rabe" unglaublich gut finde und mir deshalb dieses kleine Bändchen gekauft habe, dort war dann der Aufsatz zur Komposition und der hat mich genauso fasziniert, wie dich wahrscheinlich auch.

Ich habe mich gestern nochmal mit dem ganzen Thema auseinandergesetzt. Also zum Thema Wirklichkeitskonstruktion. Er begründet ja auch wortreich, warum er ausgerechnet eine Pallas-Büste nehmen musste, wegen des Wohlklangs usw., verschweigt dabei aber, daß in dem Zimmer, in dem er den Raben geschrieben hat, tatsächlich eine solche Büste stand, die ihn vielleicht doch ein wenig auf den Gedanken gebracht haben könnte. ;) Aber ich kau jetzt nur wieder diesen Kommentar nochmal durch.

 

Vorneweg: natürlich ist sein Aufsatz brilliant und man kann auch heute noch viel, sehr viel, daraus lernen. Poe ist ja auch ein verdammtes Genie.

 

Was mir unabhängig meines Spick-Zettel-Aufsatzes in der Hinterhand wirklich aufgefallen ist, sind seine Grundannahmen. Er reflektiert ja sehr lange -sogar noch mit einem Exkurs über die Prosa- darüber, daß der Gegenstand der Lyrik die "Schönheit" sein muß. Soweit kann ich das auch nachvollziehen, aber dann bringt er eine wahrhaft explosive These und geht schwuppdiwupp darüber hinweg. Er sagt nämlich, daß der Tonfall, der der Schönheit beikomme die Melancholie, die Traurigkeit, sein muß. Und wenn er für den relativ einfach nachvollziehbaren Gedankengang über die Schönheit so viele Worte (fast schon Geschwafel) findet, geht er auf diesen viel konkreteren und wichtigeren Aspekt des Tonfalls nur ganz kurz ein, eigentlich geht er gar nicht darauf ein. Er schreibt nur "Alle Erfahrung lehrt" und das war`s. Aber aus dieser Annahme, aus dieser Kombination sozusagen, die Schönheit mit der Melancholie zu verbinden, fußt alles was er danach schreibt an weiteren Thesen. Diesen so entscheidenen Zwischenschritt würde er niemals einfach so übergehen, wenn er diesen Entschluß ebenso treffsicher und logisch abhandeln könnte wie den Rest.

 

Das schreibt er zum Ton: "Da ich also die Schönheit als mein Gebiet erkannt hatte, fragte ich mich weiter, in welchem Tone sie sich am vollkommensten äußern könne. Nun hat uns alle Erfahrung gelehrt, daß sie in der Trauer zum gesteigertsten Ausdruck kommt. Schönheit, in welcher Art sie auch immer erscheinen möge, erregt in ihrem erhabensten Stadium die sensitive Seele zu Tränen. Und die Melancholie ist der geeignetste Ton für ein Gedicht."

Keine Begründung, keine Beweise und selbstverständlich ist diese These nun wahrlich nicht. Die Nummer mit "erregt die sensitive Seele zu Tränen" passt überhaupt nicht zum Ton, den er sonst anschlägt. Da beruft er sich auf ein diffuses übergeordnetes Kollektivbewußtsein. Keine Mathematik mehr, kein Gerede von Effekten an dieser Stelle.

 

Er schreibt später, daß es keinen poetischeres Thema geben kann als den Tod einer schönen Frau. Das ist aber keine perfekt logische Kette, keine mathematische Gleichung, die aufgeht, das ist eine Arbeitsthese, die sich ihm aufdrängt, weil sie eben in seiner Biographie so stark verankert ist.

 

Das ist aber wahrscheinlich auch alles ok so, an seiner Stelle würde man es wahrscheinlich ähnlich machen. Hätte er schreiben sollen: Inspiriert hat mich zu dem Gedicht, daß ich seit 10 Jahren um meine Mutter traure und daß meine Cousine und Ehefrau auch so früh gestorben ist? Von daher darf man ihm, glaube ich, einfach keinen Vorwurf machen. Wenn er sowas wie eine Komposition schon schreiben mußte -er wollte damit einfach nochmal Profit aus dem riesen Erfolg des Raben ziehen- dann muß er natürlich nicht noch nen Seelenstriptease hinlegen.

 

Ich bin der letzte der irgendeinem Geniekult nachhängen wird und bin wie gesagt ein riesen Fan gerade des "Raben", aber nicht weil er allein so herrlich strukturiert wäre und so perfekt durchkalkuliert, sondern weil diese Struktur mit diesem Genie noch zusammenfällt und dadurch nicht künstlich, artifiziell oder kalt wirkt, sondern sehr lebhaft.

 

Es ist wirklich ein faszinierender Text über eine Vorgehensweise. Manche Sachen nehme ich ihm ab (wie er auf einen Höhepunkt hinarbeitet zum Beispiel; die Idee des variierten Reimes; wie er auf den Raben selbst kam), manche (einfach alles zur Grundidee, zum Plot sozusagen) einfach nicht. Die Biographie, die Kreativität, Inspiration, liefert uns den Ton, und unser Verstand, unser Handwerk, formt ihn dann. Poe wollte ersteres eben -aus durch nachvollziehen Gründen- ausklammern, ist ihm meiner Ansicht nach nicht gelungen.

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Hallo Peter,

 

Also zum Thema Wirklichkeitskonstruktion. Er begründet ja auch wortreich' date=' warum er ausgerechnet eine Pallas-Büste nehmen musste, wegen des Wohlklangs usw., verschweigt dabei aber, daß in dem Zimmer, in dem er den Raben geschrieben hat, tatsächlich eine solche Büste stand, die ihn vielleicht doch ein wenig auf den Gedanken gebracht haben könnte. ;)[/quote']

Was natürlich nicht heißt, dass das nicht passt. Schließlich könnte er auch den Hutständer, den Kleiderschrank oder die Gardinenstange gewählt haben. Oder eine Georg Washington Büste, weil er am Morgen an einem G. Washington Denkmal vorbeigelaufen ist. Nichts davon würde aber auch nur annähernd so passen.

Wie kam übrigens die Pallas Büste in sein Zimmer? War er möblierter Untermieter und es stammte von der Vermieterin? Oder (was ich annehme), hat er sie selbst ausgesucht? Dann hätte er vermutlich da eine Beziehung zu, sie würde zu ihm passen, wie eben auch "der Rabe" zu ihm passt.

 

Was mir unabhängig meines Spick-Zettel-Aufsatzes in der Hinterhand wirklich aufgefallen ist, sind seine Grundannahmen. Er reflektiert ja sehr lange -sogar noch mit einem Exkurs über die Prosa- darüber, daß der Gegenstand der Lyrik die "Schönheit" sein muß. Soweit kann ich das auch nachvollziehen, aber dann bringt er eine wahrhaft explosive These und geht schwuppdiwupp darüber hinweg. Er sagt nämlich, daß der Tonfall, der der Schönheit beikomme die Melancholie, die Traurigkeit, sein muß.

Sieste, da geht er so locker drüber weg, dass ich es nicht mal wahrgenommen habe. Worüber ich gestolpert bin war: "mit der Genauigkeit und starren Logik eines mathematischen Problems Schritt für Schritt". Liegt vermutlich daran, dass ich eine Diplomarbeit über formale Logik geschrieben habe und weiß, wie wichtig auch und grade in der Mathematik Inspiration ist. Von wegen "starrer Logik". Du hast die gleichen Probleme wie beim Schreiben: Da gibt es das Handwerk, da gibt es die Logik, die stimmen muss und da gibt es Inspiration und die muss auch stimmen. Und genau wie Autoren streiten Mathematiker öfters darüber ;-). Ganz extrem deutlich wird es, wenn du eine neue Theorie aufstellst. Du beginnst mit Axiomen, da kannst du im Prinzip wählen, was du willst. Aber meist orientiert man sich an etwas, einem technischen Problem oder anderen mathematischen Disziplinen.

Wenn die Axiome stehen, folgt das andere mit Logik. Allerdings keineswegs automatisch, auch da ist Inspiration nötig, um einem Beweis für oder wider einer Aussage auf die Schliche zu kommen. Wobei man einiges zur Förderung der Inspiration tun kann, auch da gibt es Handwerkszeug. Zum Beispiel nicht irgendeine Büste aufzustellen, sondern eine Pallas.

 

Natürlich *kann* Melancholie der Tonfall sein, der einem Gedicht oder einer Geschichte Tiefe, Schönheit verleiht. Aber wie so mancher andere Autor und mancher Schreibratgeber setzt er da das, was er tut, absolut. So und nur so kann es sein.

 

Das ist aber wahrscheinlich auch alles ok so, an seiner Stelle würde man es wahrscheinlich ähnlich machen. Hätte er schreiben sollen: Inspiriert hat mich zu dem Gedicht, daß ich seit 10 Jahren um meine Mutter traure und daß meine Cousine und Ehefrau auch so früh gestorben ist? Von daher darf man ihm, glaube ich, einfach keinen Vorwurf machen.

Jeder hat das Thema, das ihn verfolgt, das er selbst verfolgt. Poe die Melancholie und den Horror, John Irving die Vatersuche etc. Das hat nichts mit Logik zu tun, sondern mit den Erfahrungen, dem Charakter eines Autors.

Aber daraus "autobiografisch" zu folgern, wie es heute so gerne gemacht wird, ist natürlich ebenso absurd.

 

manche (einfach alles zur Grundidee, zum Plot sozusagen) einfach nicht. Die Biographie, die Kreativität, Inspiration, liefert uns den Ton, und unser Verstand, unser Handwerk, formt ihn dann. Poe wollte ersteres eben -aus durch nachvollziehen Gründen- ausklammern, ist ihm meiner Ansicht nach nicht gelungen.

Du hast natürlich, wenn du erst mal eine Grundidee hast, Zwänge, die dir einiges verbieten, anderes ermöglichen. Wenn du wie eco einen Mönch umbringen möchtest und zwar in einem fass mit Schweineblut, dann muss es bereits die Zeit der Schweineschlachtung sein ;-).

Und die endgültige Version soll ja Sinn machen, logisch sein, aus Personen und Ausgangspunkt folgen. Insofern überzeugt er mich, wenn er aus dem "nevermore" einiges folgert, was dann im Gedicht steht. Und er hat ja recht, "nevermore" hat einen ganz eigenen Klang, durchaus anders als "niemals mehr", selbst als "nimmermehr". Aber das er sich einfach gedacht hat: Ich brauche ein Wort mit e-e-o weil das so schön endgültig verzweifelnde Klänge sind, das glaube ich ihm auch nicht.

 

Hans Peter

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