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(Petra)

Ich-Perspektive

Empfohlene Beiträge

Andreas schrieb in einem anderen Thread (Kurzgeschichten):

Ja, die Ich-Perspektive ist sehr beliebt. Gibt dem Ganzen einen so persönlichen Touch. Es ist so unmittelbar.

 

Ich schrieb meinen ersten Roman in Ich-Perspektive und der zweite wird sie wohl auch wieder haben. Allerdings habe ich festgestellt, dass das beim Roman eher verpönt zu sein scheint und gar nicht schick. Es wird einem eher übel genommen.

 

Nun mache ich das nicht aus Versehen (ich mag diese Art eigentlich gar nicht). Ich finde es auch verdammt schwer, weil man sich einer Menge Perspektiven beraubt und dann tüchtig nachdenken muss, wie man das darstellt, was die Person nicht erlebt / sieht.

 

Ich habe es aber absichtlich als Stilmittel gewählt, weil:

1. Meine Protagonistin dem üblichem Identifikationsschema widerspricht. Durch das "Ich" will ich es dem Leser leichter machen, über seinen Schatten zu springen.

2. Der Roman von sehr vielen inneren Zuständen dieser Figur lebt.

3. Weil der Roman bewusst ein Wirrwarrspiel ist zwischen Realität und Fiktion, in diesem Fall: Ich-Figur im Roman wird geschieden, während die Autorin ihre Scheidung gerade hinter sich hat. Zwischen beiden gibt es Parallelen. Das ufert so aus, dass ich gerade dabei bin, eine Romanfigur als Dialogpartner in einem Sachbuch auftauchen zu lassen ;-)

4. Die Romane leben von der sehr speziellen Sicht dieser Protagonistin, die "einen gewissen Blick" auf die Dinge hat. Da würde ich mir in anderen Perspektiven viel Witz nehmen.

 

Das mal als mögliche Pros FÜR diese angeblich hippe Methode.

Jetzt würde ich von euch gerne wissen: Wie liest sich Ich-Perspektive für euch als Leser? Nehmt ihr es gesondert wahr? Anders?

Gibt's vielleicht außer mir noch jemanden, der das macht und den ich dann mit Spezialfragen löchern könnte?

 

Schöne Grüße,

Petra

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Die Ich-Perspektive ist nicht ohne Grund die am besten gefüllte Fallgrube für Schreibanfänger. Sie scheint so naheliegend und ist zugleich am schwierigsten zu verwenden.

 

So, wie du es beschreibst, verwendest du sie äußerst bewusst, und mit absolut nachvollziehbaren Motiven. Das scheint mir aber wirklich ein Spezialfall zu sein.

 

Ich mag die Ich-Perspektive üblicherweise gar nicht. Mein Sohn, der gerade erst anfängt, freiwillig längere Bücher zu lesen, ist davon begeistert, da er sich mit dem Protagonist identifizieren kann (er drückt es etwas anders aus ;) ), aber für mich schafft es keine Identifikation. Nur eine Nähe - wie sie allerdings in der personellen Erzählperspektive auch erzielt werden kann.

Bei der Ich-Perspektive kommt allerdings hinzu, dass sie die Wahrnehmung der äußeren Welt sehr einschränkt und zwangsläufig egozentrisch ist. Das "verkleinert" die Geschichte in meinen Augen - oder vielmehr: es konzentriert sie. Das muss nicht objektiv schlecht sein, aber ich lese einfach lieber Geschichten, die "nach außen hin" groß sind. Vielleicht ist es ketzerisch, dies so zu formulieren, aber mich interessieren die Geschichten mehr als die Menschen, die sie erleben.

 

Andreas

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(Steiniger_Pfad)

Stimmt. Ich-Perspektive ist verpönt. Und zwar, weil es kaum einen Anfänger gibt, der nicht in Ich-Perspektive schreibt. Und damit so richtig reinrasselt. Das andauernde Ich-mein-mir geht einem nach fünfzig Seiten extrem auf die Nerven. Sowas wie Melvilles 'Moby Dick' schüttelt man halt nicht als Anfänger aus dem Ärmel ;)

Die andere Sache mit der Ich-Perspektive ist, dass man damit mangelndes Handwerk vertuschen kann. Wo habe ich das denn wieder gelesen ... war ein englisches Buch einer Autorin, die über ihren eigenen Werdegang geschrieben hat, schon länger her. Das erste Buch in Ich-Perspektive geschrieben und wurde veröffentlicht und lief gut. Das zweite Buch dann in personaler Perspektive - man ist ja jetzt schließlich Profiautorin - (und mit Vertrag und Abgabetermin) - ein extremer Rohrkrepierer. Da erst hat sie gemerkt, dass sie das erste Buch nur mit Glück und Zufall gut hinbekommen hat, aber Null Ahnung vom Handwerk hatte.

Hat sich dann hingesetzt und akzeptiert, dass Schriftsteller ein Beruf ist, in dem man wie in jedem anderen Beruf auch lernen muss. Von Kursen hat sie allerdings nichts gehalten. Möglichste viele verschiedene Bücher über das Schreiben sollte man durcharbeiten, um sich nach all den anderen Meinungen dann eine eigene bilden zu können.

 

Steiniger Pfad

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Die andere Sache mit der Ich-Perspektive ist, dass man damit mangelndes Handwerk vertuschen kann. ...Das zweite Buch dann in personaler Perspektive - man ist ja jetzt schließlich Profiautorin -  (und mit Vertrag und Abgabetermin) - ein extremer Rohrkrepierer. Da erst hat sie gemerkt, dass sie das erste Buch nur mit Glück und Zufall gut hinbekommen hat, aber Null Ahnung vom Handwerk hatte.

Steiniger Pfad

 

Steiniger Pfad,

DU MACHST MIR ANGST!!!  :s10

 

Gut, ich winde mich heraus, indem ich beim Ich bleibe... vielleicht merkt's dann keiner  :s09

 

Gegruselte Grüße,

Petra

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Das trifft sich gut, dass Petra hier diesen Thread eröffnet hat.

 

Ich stehe nämlich jedesmal vor einem großen Problem, wenn ich eine neue Geschichte schreiben möchte (so auch jetzt).

Bei mir ergibt sich die Perspektive aus dem, was ich schreiben möchte; sie orientiert sich an dem Stil und der Aussage der Geschichte.

Andererseits ergibt sich der Stil und damit die Formulierung der Aussage erst aus der Perspektive. Deshalb stehe ich immer anfangs verwirrt da und durchdenke diverse Szenen in unterschiedlichen Perspektiven und frage mich, was genau ich denn nun eigentlich möchte.

Da können einem graue Haare wachsen ...

 

Tröstlich fand ich, dass es mir nicht allein so geht. John Irving soll ja seinen letzten Roman zurückgezogen haben, weil er in der Nacht nach der Abgabe bei seinem Agenten beschlossen hatte, dass eine andere Perspektive doch besser sei. 1000 S. oder so umschreiben ...

 

Bei der Ich-Perspektive kommt allerdings hinzu, dass sie die Wahrnehmung der äußeren Welt sehr einschränkt und zwangsläufig egozentrisch ist. Das "verkleinert" die Geschichte in meinen Augen - oder vielmehr: es konzentriert sie.

Ich denke, wie oben angedeutet, es kommt immer darauf an, was man am Ende erreichen möchte.

Nehmen wir zum Beispiel von Leo Perutz DER MEISTER DES JÜNGSTEN TAGES oder DER MARQUES DE BOLIVAR, Diese beiden Romane können nur in der Ich-Form geschrieben sein, da sie ja als "Clou" einen "unzuverlässigen" Erzähler haben, der sich eventuell (!) durch seine Art des Erzählens von der Schuld befereien möchte.

 

Ich könnte nicht sagen, dass irgendeine Perspektive mir mehr zusagt oder weniger. Solange der Autor weiß, was er macht (also, warum er es so macht), ist mir die Perspektive egal, sie sollte halt stimmig sein.

 

Gut, ich winde mich heraus, indem ich beim Ich bleibe... vielleicht merkt's dann keiner

Genau das war eben auch mein Gedanke ... Oh je. ;)

 

Grüße,

Ralph

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(Peter_Dobrovka)

Die Ich-Perspektive bietet Subjektivität. Wertende Adjektive sind erlaubt, etc.. Dafür ist der Wahrnehmungshorizont eingeschränkt. Aber letzteres kann man aufheben, indem man einfach auktoriale Erzählpassagen einfügt.

 

Ich finde es übrigens immer wieder interessant, was manche vom Hörensagen her als verpönt erachten. Warum soll man denn keinen Roman in Ich-Form rausbringen? Ihre Zahl mag geringer sein, aber das sagt so viel nicht aus.

 

Peter

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Ich finde es übrigens immer wieder interessant' date=' was manche vom Hörensagen her als verpönt erachten. Warum soll man denn keinen Roman in Ich-Form rausbringen? Ihre Zahl mag geringer sein, aber das sagt so viel nicht aus.[/quote']

Hi Peter,

wenn ich sowas behaupte, hat es Hand und Fuß... kein Hörensagen. Meine Aussage bezieht sich auf das, was mein Agent zu hören bekommt und auf ganz konkrete Aussagen aus Verlagen.

Was jetzt nur eine Vermutung ist: Viele Lektoren könnten es über haben, weil anscheinend viele Anfänger so schreiben?

 

Schöne Grüße,

Petra

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Hallo Ralph,

Ich denke, wie oben angedeutet, es kommt immer darauf an, was man am Ende erreichen möchte.

Nehmen wir zum Beispiel von Leo Perutz DER MEISTER DES JÜNGSTEN TAGES oder DER MARQUES DE BOLIVAR

 

Danke, du rettest meine Laune beträchtlich... jetzt wird mir einiges klar... denn Leo Perutz habe ich geradezu verspeist!

 

Ich finde diese Ich-Perspektive übrigens auch ganz modern insofern, als die meisten Menschen ja tatsächlich die Welt immer egozentrischer und fragmentarischer wahrnehmen. Das verbinde ich auch gerne mit "Videoschnitten" im Buch  :s01

 

Übrigens - so eingeschränkt ist das gar nicht, man muss nicht in auktoriale Ebenen wechseln. Es gibt schon den ein oder anderen Kunstgriff. z.B. wenn die Ich-Figur innerlich den Kopf schüttelt, weil ihre Freundin die gleiche Angelegenheit partout anders sehen will. Ich kann z.B. durch die Diskrepanz in Erleben und Handlung zeigen, was tatsächlich geschieht und was nur subjektives Erleben ist.

 

Aber das sind auch wieder die Punkte, die mich dran nerven - es ist mühsamer, man muss mehr dran basteln. Vor allem, dass es nicht aufdringlich wird.

Irving nehme ich mir mal nicht zum Beispiel - so werde ich mit Abgabeterminen nicht jonglieren dürfen ;-)

 

Schöne Grüße,

Petra

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@Petra

 

Ich finde diese Ich-Perspektive übrigens auch ganz modern insofern, als die meisten Menschen ja tatsächlich die Welt immer egozentrischer und fragmentarischer wahrnehmen. Das verbinde ich auch gerne mit "Videoschnitten" im Buch

 

Was genau meinst Du mit "Videoschnitten"?

 

Mit dem "Modern" kann ich nur zustimmen. Aber im Endeffekt kommt es wohl auf die Handhabung an. Auf einem Schreibseminar wurde mir mal gesagt, ein "Allwissender Erzähler" wäre etwas angestaubt. Wenn ich aber an die göttliche Wergeland-Trilogie von Jan Kjaerstad denke, dann finde ich eine solche Perspektive aber "hypermodern"!

Alleine der erste Band (der vermutlich von Gott geschrieben wurde) ist für mich eine der größten literarischen Leistungen, die mir bisher begegnet ist.

Nicht nur, dass er angeblich so "verbotene" Dinge macht wie "den Erzähler das Geschehen kommentieren lassen", nein, er erzählt auch noch achronologisch, einer inneren Logik folgend (zum Beispiel dem Vorkommen bestimmter Gegenstände in bestimmten Szenen).

Es ist SOOOOOOOO schade, dass Jan Kjaerstad in Deutschland so unbeachtet ist. Seufz.

 

Fan Ralph

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(Steiniger_Pfad)

 

Steiniger Pfad,

DU MACHST MIR ANGST!!! :s10

 

Gegruselte Grüße,

Petra

 

War keine Absicht :-* Habe jetzt übrigens das Buch der Autorin gefunden: Rita Mae Brown: Starting from Scratch. Hat ein paar Dutzend Titel geschrieben, den Rohrkrepierer also gut überstanden ;)

 

 

 

Die

Ich finde es übrigens immer wieder interessant, was manche vom Hörensagen her als verpönt erachten. Warum soll man denn keinen Roman in Ich-Form rausbringen? Ihre Zahl mag geringer sein, aber das sagt so viel nicht aus.

 

Peter

 

Hi Peter,

wenn ich sowas behaupte, hat es Hand und Fuß... kein Hörensagen. Meine Aussage bezieht sich auf das, was mein Agent zu hören bekommt und auf ganz konkrete Aussagen aus Verlagen.

 

Schöne Grüße,

Petra

 

Stimmt Meines ist auch nicht Hörensagen. Ich kenne leider niemanden persönlich, der sich mit Bücherschreiben und dem Buchmarkt beschäftigt, kann also gar nichts hören ;)

Ist alles aus Büchern. Am meisten Informationen über den Buchmarkt findet man in Büchern, die von Literaturagenten geschrieben wurden. Autoren haben nur ihre eigene einzige Sichtweise. Creative Writing Lehrer haben zwar viele Schreibende und ihre verschiedenen Probleme kennengelernt, aber das sind leider unveröffentlichte Schreibende. Ein Agent, der in seinem Leben schon über 1000 Bücher unter Dach und Fach gebracht hat, dem traue ich schon eine gewisse Kompetenz zu ;D

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War keine Absicht :-*  Habe jetzt übrigens das Buch der Autorin gefunden: Rita Mae Brown: Starting from Scratch. Hat ein paar Dutzend Titel geschrieben, den Rohrkrepierer also gut überstanden ;)

 

 

Ah, Rita Mae Brown.

'Rubinroter Dschungel'?

Ja, habe ich auch gelesen, Ich-Perspektive.

Hat in diesem Roman ganz hervorragend funktioniert.

Wohl auch deshalb, weil er halb autobiografisch ist.

Ist ja interessant, dass sie bei ihren nächsten Romanen (nicht autobiografisch) Probleme hatte...

 

Roy

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(Peter_Dobrovka)

Um mal etwas konkreter zu werden:

 

Die Ich-Perspektive ist nicht verpönt. Ist mir egal, wer das behauptet, der Reality-Check findet auf dem Buchmarkt statt. Ich habe haufenweise neue Bücher von großen Verlagen bei mir stehen, die in Ich-Perspektive geschrieben sind. Daß die Ich-Perspektive nur ca. 10% der Romane ausmacht, bedeutet lediglich, daß auch nur etwa dieser Prozentsatz geschrieben wird.

Woher ich das wiederum weiß? Nun, ich werde von Manuskripten überschwemmt, da weiß man sowas.

 

Das einzige, was ich in dieser Debatte unterschreiben kann, wäre, daß die Ich-Perspektive dazu verleitet, zu locker mit der Sprache umzugehen, weil der Autor alles auf die erzählende Person schieben kann. Überflüssig-nervige Selbstkommentare wie "das können Sie mir glauben" kommen recht häufig vor.

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(writingwoman)

Hallo zusammen!

Ein schöner Thread :)

 

Ich hatte meinen Jugendroman in Ich-Perspektive angefangen, obwohl ich weiß, dass es verpönt ist. Ich hatte aber schon einige Jugendromane in dieser Perspektive gelesen, die bei renommierten Verlagen erschienen sind.

Nach über 100 Seiten habe ich dann den ganzen Roman umgeschrieben..... Ich habe beim Lesen anderer Bücher bemerkt, wie viel näher mir die Personen in der personalen Erzählperspektive waren. Das klingt zwar paradox, aber da wir ja wissen, dass ICH nicht ich selbst bin, wenn ich ein Buch lese, entsteht doch eine gewisse Distanz. Wenn man dem Protagonisten aber in der Jackentasche sitzt, kriegt man viel mehr von seinen liebenswerten und nervigen Zügen mit. Die würde er selbst vermutlich nicht beschreiben. Und innere Monologe kann er ja trotzdem führen.

Mein Roman ist mir jetzt viel näher, ehrlich. Ich konnte es auch erst nicht glauben, aber es war den Versuch wert!

 

Liebe Grüße

Petra, die heute wieder fleißig war.

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